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Ausschreitungen in Magdeburg Ausschreitungen in Magdeburg: Was läuft schief am Hasselbachplatz?

Von Ralf Böhme 03.07.2017, 12:00
Der Hasselbachplatz in Magdeburg ist nicht nur ein Verkehrsknoten, sondern die Mitte der Magdeburger Kneipenszene. Vor einer Woche hat es dort schwere Randale gegeben.
Der Hasselbachplatz in Magdeburg ist nicht nur ein Verkehrsknoten, sondern die Mitte der Magdeburger Kneipenszene. Vor einer Woche hat es dort schwere Randale gegeben. dpa

Magdeburg - Schluck, Schluck, Schluck. Und immer noch Durst. Kurz ist der Weg bis zur nächsten Flasche. Allein sieben Spätverkaufsstellen und noch mehr Kneipen gibt es rund um den Hasselbachplatz in Magdeburg - am Freitag vor einer Woche Schauplatz brutaler Schlägereien. Seitdem beschäftigt die Stadt die bange Frage: Wann müssen erneut 110 Einsatzkräfte anrücken, um ausufernde Randale einzudämmen?

Noch sieht sich die Tourist-Information nicht genötigt, ihre Werbung zu ändern. Gefällig ist dort von Magdeburgs Kneipenmeile die Rede. Der Puls der Stadt sei am Hasselbachplatz allgegenwärtig, heißt es da. Vor allem abends lohne sich der Besuch. Das Versprechen: Für jeden Geschmack und jedes Alter findet sich ein Plätzchen. Die MZ macht die Probe auf das Exempel, ist genau eine Woche nach den Randalen bis weit nach Mitternacht mittendrin.

Partynächte auf dem „Hassel“ in Magdeburg: Wer keine Flasche Bier in der Hand hält, fällt auf.

Ministerien und Behörden im Umkreis haben um diese Zeit nur noch die Pforten besetzt. Und die meisten Bewohner der sanierten Gründerzeithäuser schlafen da bereits. Im Gegensatz dazu tobt auf dem „Hassel“ das pralle Leben. In den Kneipen samt ausgedehnter Freisitze rund um den achteckigen Verkehrsknoten herrscht Feiertrubel.

Stimmung machen vor allem die jungen Leute draußen unter freiem Himmel. Es sind auch an diesem Abend Hunderte. Wer keine Flasche Bier in der Hand hält, fällt auf. Dazu dröhnt Musik aus mobilen Boxen: Hits aus Amerika, auch orientalische Klänge und sogar Helene Fischer. Ein internationaler Mix, wie die Zuhörer auch.

Partynächte auf dem „Hassel“ in Magdeburg: Polizei zeigt massive Präsenz

Der Hasselbach-Kiez also eine Insel jugendlicher Glückseligkeit? Party-Bilder wie man sie aus Halle, Leipzig, Berlin oder Dresden kennt? Der Eindruck täuscht. Während sich andernorts die Ordnungshüter meist nur bei Notrufen oder zum Ausschankschluss blicken lassen, zeigt die Polizei hier massive Präsenz.

Die Nacht zum 24. Juni hält für die Magdeburger Polizei eine böse Überraschung bereit. Am Hasselbachplatz kommt es zu gewalttätigen Tumulten von jungen Leuten.

Sie richten sich gegen Polizisten, die eine Anzeige aufnehmen wollen. 150 teils schwer angetrunkene Angreifer gehen auf die Beamten los. Es fliegen Steine und Flaschen. Verkehrsschilder werden aus der Verankerung gerissen. Mülltonnen dienen als Barrikaden. Während der Auseinandersetzungen wird ein Polizist schwer verletzt. 14 Einsatzkräfte müssen leichtere Blessuren einstecken.

Nur mit massiver Verstärkung der Polizeikräfte auf 110 Mann gelingt es, die Situation in den Griff zu bekommen. Sieben Randalierer kommen kurze Zeit in Gewahrsam. Die mutmaßlichen Rädelsführer sollen mittlerweile wieder auf dem Hasselbachplatz unterwegs sein.

In einer ersten Reaktion nach dem Ereignis fordert Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper verstärkten Polizeieinsatz. Die Polizei zeigt seither tatsächlich massive Präsenz. Eine Sonderkommission der Kriminalpolizei ist dabei, die Randale aufzuarbeiten. Konkrete Ergebnisse sind noch noch bekannt. Die Befragungen laufen noch.

Ihre Kleinbusse rollen im Zehn-Minuten-Abstand an. Mal schneller, mal langsamer ziehen Streifenwagen ihre Kreise. Uniformierte schieben sich in Sechser-Gruppen durch die Massen. Wer verdächtig erscheint, muss seinen Ausweis zeigen. Ein Jugendlicher wird sogar nach allen Regeln der Kunst durchsucht. Zeitgleich zersplittert Glas an der Haltestelle des Nachtbusses. Zwei Hauseingänger weiter steigt gerade eine kleine Kiffer-Party.

Ausschreitungen auf dem „Hassel“ in Magdeburg: Kämpfen gegnerische Gruppen hier um die Vorherrschaft?

„Das ist doch alles nicht mehr normal“, sagt einer, der eine Woche nach den schweren Randalen vom Freisitz nebenan wie gebannt zuschaut. Fred Klausner ist Montagearbeiter. Am Wochenende genehmigt sich der 44-Jährige, der nur einige Straßen entfernt wohnt, hier einen oder zwei „Absacker“. Er kennt die Szenerie seit Jahren und meint: „Hier braut sich was zusammen.“ Drei Dinge werden seiner Meinung nach noch für viel Ärger sorgen.

Erstens: Auf dem Platz treffen sich, so der Anwohner, immer mehr junge Männer. Sie bleiben unter sich. Mädchen und Frauen beginnen, die Gegend zu meiden. Klausners zweite Beobachtung: Es ist nicht das viele Bier allein, das alle Hemmungen vergessen lässt. Schuld sei der mitgebrachte Billig-Schnaps. Was ihm aber wirklich Sorgenfalten auf die Stirn treibt, sind verschiedene rabiate Gruppen, die auf dem Platz scheinbar um die Vorherrschaft kämpfen.

Offiziell teilt die Polizei diese düstere Einschätzung nicht. Die Ermittler gehen auch weiter davon aus, dass Einzeltäter für die Randale in der Nacht zum 24. Juni verantwortlich gewesen sind. Die Zurückhaltung mag vielleicht ermittlungstaktische Gründe haben. Doch auch der Einsatzgruppe „Hassel“ dürfte es nicht verborgen bleiben, was dort längst die Diskussion bestimmt: Ist die Randale, die das Viertel landesweit ins Zwielicht rückt, gar kein Ausbruch spontaner Rivalitäten gewesen?

Ausschreitungeb in Magdeburg: Als Brennpunkt gilt der Hasselbachplatz nicht

Dieses Mal kommt es nicht zur Gewalt. Während sich der Platz zwei, drei Stunden nach Mitternacht langsam leert, werden aber immer noch grobe Sprüche geklopft. Grölenden Beifall erhält etwa ein Mann mit kahlgeschorenem Schädel, der gegen „Bullenschweine“ wettert. „Ich bin Preuße“, sagt er und kündigt an, seine Leute würden am „Hassel“ sagen, wo es lang geht. Verwirrung im Suff, Hooligan-Mentalität oder Ausdruck schon organisierter Kriminalität?

Letzteren Eindruck will Marc Becher, Sprecher der Polizeidirektion in Magdeburg, gar nicht erst aufkommen lassen. Nach seinen Informationen gibt es dafür bislang keinerlei Hinweise, so seine Auskunft auf eine entsprechende MZ-Anfrage.

Rein statistisch kann der Hasselbachplatz nach Polizeiangaben nicht einmal als „Brennpunkt“ eingestuft werden. Dafür fehlen die Fälle schwerer Kriminalität. Lärmbelästigungen, Dellen an Autos, eingetretene Haustüren oder ab und zu eine blutige Nase nach Rempeleien - das rechtfertigt eigentlich keinen zusätzlichen Polizeischutz.

Gewalt am Hasselbachplatz in Magdeburg: Stadt und Polizei wollen eine „Stadtwache“ aufbauen

Und was tun? Holger Platz, zuständiger Beigeordneter der Stadt, schnürt mit Polizeipräsident Andreas Schomaker und der Interessengemeinschaft Innenstadt ein ganzes Paket an Maßnahmen gegen die Gewalt am Hasselbachplatz. Kurzfristig soll dabei eine personell und technisch gut ausgestattete City-Wache des Ordnungsamtes entstehen. Von 15 Stellen ist die Rede.

Mittelfristig prüft man ein Alkoholverbot außerhalb der Kneipen, was als juristisch schwierig gilt und vor Jahren schon einmal gescheitert ist. Bis alles greift, bleibt die Polizei bei ihrem Konzept: Präsenz zeigen. „Die Randale soll ein einmaliges Ereignis bleiben“, so der Polizeisprecher. (mz)

Polizisten nehmen einen der mutmaßlichen Schläger fest.
Polizisten nehmen einen der mutmaßlichen Schläger fest.
dpa