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Architektur Architektur: Kulturkampf um den Uni-Neubau

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 07.09.2012, 16:59

Leipzig/MZ. - Schon diese eine Frage deutet an, worum es geht in diesem Streit: "Paulinum?", reagiert Christian Wolff auf die Bitte um ein Interview zum Leipziger Uni-Neubau. "Was meinen Sie mit Paulinum?"

Paulinum nennt die Uni Leipzig ihre moderne Aula, eine Dauerbaustelle am Augustusplatz mitten in der Innenstadt. Das Gebäude des niederländischen Architekten Erick van Egeraat greift die Silhouette der 1968 auf Geheiß der SED gesprengten Universitätskirche St. Pauli auf. Die Aula steht an deren Platz. Sie soll auch für Gottesdienste oder geistliche Musik genutzt werden. Aber eine Kirche, sagt die Uni, soll es nicht sein. Es ist doch eine Kirche, sagt Christian Wolff. Es ist die Unikirche.

Seit Jahren tobt in Leipzig ein Kulturkampf um den Uni-Neubau. Ein Verein gegen die Universität. Kirche gegen Staat. Die Kontrahenten: die Universität zu Leipzig mit ihrer Rektorin Beate Schücking. Und das Aktionsbündnis pro Unikirche mit seinem wortgewaltigen Vertreter Christian Wolff, Pfarrer der Thomaskirche. Die Zutaten: ein Architekt, der mitten in der Bauphase vorübergehend Pleite macht. Baukosten, die immer weiter steigen. Ein Fertigstellungstermin, der immer weiter nach hinten verschoben wird. Und eine Wand aus Acrylglas.

2003 schreibt der Freistaat Sachsen einen Wettbewerb für den Neubau am Augustusplatz aus. Pünktlich zum 600. Geburtstag der Alma Mater 2009 will der Staat der Uni und die Uni sich einen neuen Campus schenken - samt Paulinum anstelle des früheren Gotteshauses. Der Niederländer von Egeraat gewinnt 2004 mit einem kühnen Entwurf, der ein Mahnmal sein soll. Die Fassade der Aula zum Augustusplatz hin nimmt mit ihrer leicht verrutschten Rosette den Moment der Kirchensprengung auf. Der Campus rundherum ist mittlerweile fast fertig. Die Aula nicht.

Schon bevor der Wettbewerb entschieden wurde, hat der Kulturkampf ein erstes Opfer gefordert. Damals tobt er um eine noch viel grundlegendere Frage: Soll die Kirche originalgetreu wieder aufgebaut werden? Nein, sagt der damalige Uni-Rektor Volker Bigl. Doch als ihm die Landesregierung in den Rücken fällt und sich wie der Leipziger Paulinerverein für den Wiederaufbau ausspricht, tritt Bigl entnervt zurück. Der Wettbewerb, aus dem Architekt van Egeraat als Sieger hervorgeht, soll in dieser aufgeheizten Situation eigentlich befriedend wirken.

Doch davon kann auch acht Jahre später keine Rede sein. Ein "Kampfbegriff" sei die Bezeichnung Paulinum, wettert Pfarrer Wolff. Damit werde verleugnet, was dort entstehe, nämlich, genau: die Universitätskirche St. Pauli. "Es ist doch merkwürdig", sagt Wolff, "dass die Uni eine Kirche baut und sagt, das darf keine Kirche sein."

Warum aber sollte eine Universität eine Kirche brauchen, Herr Wolff? Nun wird der Pfarrer, weißes Haar, freundlicher offener Blick, blaukariertes Hemd, grundsätzlich. Damit das jetzt niemand falsch verstehe: Es gehe ihm nicht um kirchliche Interessen. Aber worum dann? Wolff spricht von einer "gesellschaftspolitischen Dimension". Das meint er so: 1968 habe der Staat die Kirche, "eine Stätte des freien Wortes", gesprengt und an ihre Stelle ein neues Uni-Hauptgebäude samt Marx-Relief gesetzt. Ein starkes Signal, findet der Theologe: "Unsere Weltanschauung anstelle des Kreuzes!", das sei die Botschaft. Also, schlussfolgert Wolff, stehe der Staat heute in Verantwortung für die Kirche. Auch wenn es ein ganz anderer Staat ist als vor 44 Jahren.

Falls das nicht überzeugt, wird Wolff nun noch einmal grundsätzlich: Er spricht von der Verantwortung der Wissenschaft, die diskutiert, von einem "kritischen Dialog zwischen Glauben und Wissen", der geführt werden müsse. "Die wiedererstandene Kirche kann dafür der richtige Ort sein." Aber muss das Gebäude deshalb Kirche heißen? Ist der Name der Hülle nicht nebensächlich? Wolff wischt den Einwand mit einer Handbewegung vom Tisch. "Dann kann ich auch gleich unterm Baum beten", ätzt er, "dann brauche ich gar keine Kirchen mehr."

Es geht aber nicht nur um Aula oder Kirche. Es geht auch um eine verschiebbare Wand aus Acrylglas. Zweimal zwei Teile, jeweils 13 und 16 Meter hoch, drei und vier Tonnen schwer. Die Scheiben sollen in der Aula einen Andachtsraum abtrennen. Seit drei Jahren stehen sie bei der Firma, die sie gebaut hat, in einer Lagerhalle in Plötz nördlich von Halle. Und geht es nach Wolff, dann können sie dort auch bleiben.

Die Uni will die Wand aus klimatischen Gründen. Sie soll wertvolle Epitaphien aus der alten Paulinerkirche schützen, die im Andachtsraum ihren Platz finden sollen. Bei Bedarf könnten die Scheiben geöffnet werden, um Platz für größere Veranstaltungen zu haben. Christian Wolff hält das für "Blödsinn". Klar: Er will eine Kirche ohne Trennwand. Nicht bloß einen Andachtsraum. Klimatische Gründe? "In der Thomaskirche", frotzelt er, "haben wir so viele Epitaphien, da müssten wir ja zehn Glaswände einbauen." Und dann die Orgel. Das Paulinum soll sogar zwei bekommen, doch die, bemängelt der Pfarrer, ließen sich nicht vernünftig intonieren, wenn die Wand mal offen, mal geschlossen sei.

Können Sie diese Debatte eigentlich noch hören, Frau Schücking? Beate Schücking, 56, blickt von ihrem Büro in der Innenstadt aus nicht auf die Baustelle am Augustusplatz. Vielleicht ist das ganz gut. So muss sich die Rektorin der Uni Leipzig nicht jeden Tag frustrieren lassen.

Schücking hat den Streit um das Paulinum geerbt, sie ist erst seit März vorigen Jahres im Amt. Entsprechend vorsichtig wählt sie ihre Worte. Die Sprengung der Paulinerkirche, sagt die Rektorin, sei "für alle, die sie miterlebt haben, eine offene Wunde". Dem trage die Uni mit dem Paulinum in seiner außergewöhnlichen Form Rechnung. Der Neubau ist für Schücking "in Stein gegossene Erinnerung". Das Gebäude diene aber in erster Linie universitären Zwecken, nicht kirchlichen. "Wir können uns als Universität nicht einseitig an einzelnen Gruppen ausrichten." Eine deutliche Absage an Wolff und Co. Und überhaupt: "Die Mehrzahl der Studenten interessiert diese Debatte gar nicht. Die sind froh über den Campus mitten in der Stadt."

Und was wird aus der Glaswand? Schücking schaut, als wundere sie sich über die Frage. "Das ist entschieden", sagt sie, "die wird eingebaut." Das hätte schon längst passiert sein sollen. Doch erst trieb die Finanzkrise den Architekten Erick von Egeraat vorübergehend in die Pleite. Dann gerieten sich der Freistaat und der Niederländer so sehr in die Haare, dass erst ein Mediator wieder Frieden herstellen konnte. Das Land hatte nach der Insolvenz die Bauleitung für wesentliche Bereiche einem anderen Büro übertragen. Van Egeraat erstritt sich die Kontrolle über die exakte Umsetzung seiner Entwürfe durch Dritte und die Regie über den Innenausbau des Paulinums zurück. Doch ausgerechnet bei diesem Innenausbau wollte das Land sparen. Über Monate wurden dafür mehrere Varianten untersucht. Das Ergebnis: gleich null. Alles andere hätte bedeutet, die Pläne van Egeraats komplett zu versenken.

Aus Dresden heißt es, die Aula werde Anfang 2014 eröffnet. Immerhin: Davon abgesehen, wird der neue Campus im Wesentlichen bereits genutzt. Zum Wintersemester wird das neue Hauptgebäude Augusteum bezogen - samt Audimax, mit 800 Plätzen der größte Hörsaal Sachsens. Auch im Paulinum öffnen dann erste Hörsäle und Seminarräume - unterm Dach.

Am Ende wird die neue Uni im Herzen der Stadt rund 250 Millionen Euro kosten. Ursprünglich geplant waren 90 Millionen. Neben dem Citytunnel ist der Campus damit die zweite Dauerbaustelle Leipzigs, die nicht fertig, aber immer teurer wird. "Öffentliches Bauen dauert eben oft länger", sagt die Rektorin lakonisch.

Und wenn das Paulinum eröffnet ist? "Dann werden wir 2015 im Programmheft des Bachfestes von Konzerten in der Universitätskirche lesen", sagt Thomaskirchen-Pfarrer Christian Wolff. Er grinst schelmisch. "Der Begriff Unikirche wird sich durchsetzen."