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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Kreis reagiert nach tragischem Unfall

Von Katrin Löwe 15.05.2012, 18:47

Thurland/MZ. - Am Straßenrand steht schon ein Holzkreuz. An ihm lehnt ein Foto des neunjährigen Mädchens, das am Montagmorgen an dieser Stelle der Landesstraße 136 zwischen Thurland und Tornau vor der Heide (Anhalt-Bitterfeld) ums Leben kam. Ein quietschfideler kleiner Lockenkopf, sagen Anwohner. Plüsch-Einhörner soll die Kleine geliebt haben - eines steht jetzt vor dem Kreuz neben anderen Plüschtieren, neben den Blumen, die Anwohner und Mitschüler gebracht haben. Das kleine Mädchen starb auf dem Schulweg, als es die Landstraße zwischen beiden Orten überqueren wollte, um zur Bushaltestelle zu kommen.

In Klein Leipzig, einem Ortsteil von Thurland mit 57 Einwohnern, ist der Schock über den Tod des Kindes mit Händen greifbar. "So ein Bild vergisst man nicht", sagt Marlies Halamunda mit Tränen in den Augen. Wenige Minuten nach dem Unfall kam sie am Montag mit ihrer zehnjährigen Tochter an der Unfallstelle vorbei, nur zufällig hatten sie sich an diesem Tag verspätet. Ebenso wie andere Schulkinder, die das Drama direkt miterlebt hatten, sahen auch Halamunda und ihre Tochter das Mädchen auf der Straße liegen. An Schlaf war in der Nacht darauf kaum zu denken, sagt die Unternehmerin. Ihre Tochter kann die Bushaltestelle nicht mehr sehen, die sie normalerweise täglich nutzt. Die Familie wird vorerst kilometerweite Umwege fahren, um den Ort zu meiden. Und Halamunda geht immer wieder durch den Kopf: "Es hätte auch mein Kind sein können."

Wut bei Anwohnern

In die Trauer mischt sich aber auch Wut. Mehrfach hatten Anwohner auf die aus ihrer Sicht gefährliche Stelle aufmerksam gemacht: eine Landstraße mit leichten Kurven, eine Einmündung in den Ortsteil Klein Leipzig, in deren Höhe sich auch die Bushaltestelle befindet. Tempo 100 darf hier offiziell gefahren werden, eine Begrenzung gibt es nicht. Meist warten die Kinder - fünf bisher - auf der dem Ortsteil zugewandten Seite in einem kleinen Haltestellenhäuschen, bis der Bus gegenüber hält, und laufen dann über die Straße. Diesmal, so sagt die Polizei, soll die Neunjährige unvermittelt schon eher losgeflitzt sein, als der Bus aus dem Nachbarort sichtbar wurde. Sie wurde von einem Auto erfasst.

Von Schülern genutzte Bushaltestellen außerhalb von Ortschaften, da ist Thurland keine Ausnahme. Das sagen auch Busunternehmer Lothar Desel im Harz und Erich Engel, Geschäftsführer der Personenverkehrsgesellschaft im Burgenlandkreis. Nicht an allen gebe es Tempobeschränkungen. Desel weiß von einem Fall im Südharz zu berichten, in dem eine Bushaltestelle in den Ort verlegt wurde, nachdem ein Junge bei einem Unfall schwer verletzt worden war.

Generelle Vorgaben, wie solche Bushaltestellen außerhalb von Ortschaften auszusehen haben, gibt es nicht, sagt Experte Andreas Bergmeier vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat. "Das hängt immer von der konkreten Situation, dem Verkehr vor Ort ab." Eltern empfehle man, Kinder an gefährliche Haltestellen zu begleiten. Das größte Risiko bestehe für sie, wenn sie auf dem Weg zum oder vom Schulbus die Straße überqueren. Ein Tempolimit sei durchaus sinnvoll, "zumindest sollte man ein Schild hinstellen: Achtung Kinder".

Bei Thurland gab es nichts davon. Abgesehen von den Bushaltestellenschildern findet sich weit und breit kein Hinweis, dass hier außerhalb der Ortschaft mit Kindern zu rechnen ist, die die Straße überqueren müssen. Nur ein Warnschild für die leichte Kurve. "Unakzeptabel" nennt Halamunda das. Und auch Helmut Kreiser, der direkt an der Einmündung wohnt, findet: 100 Stundenkilometer ist viel zu schnell. Wegen der Kinder und älterer Busnutzer, aber auch, weil für Autofahrer, die aus Klein Leipzig auf die Landstraße fahren, die Sicht schlecht sei. "Die Gefahr ist immer da, wenn auf dem Feld auch noch der Weizen hoch steht."

Der Stadt Raguhn-Jeßnitz, zu der Thurland gehört, war das Problem bekannt. "Wir können in solchen Fällen nur Empfehlungen geben, auf Risiken hinweisen", sagt Bürgermeister Eberhard Berger (CDU). "Und das ist passiert." 2010 mahnte die Stadt beim zuständigen Straßenverkehrsamt des Kreises Handlungsbedarf an. Ein Jahr später antwortete der - und sah keinen Grund für Änderungen, auch nicht nach einem erneuten Schreiben der Stadt. Kreis und Polizei verweisen unisono darauf, dass die Stelle bisher kein Unfallschwerpunkt war. Seit 2005 sei dort nicht ein Unfall passiert, von beiden Richtungen gebe es eine "gute Einsicht". Berger drängt aber - jetzt erst recht - auf eine Lösung. Die einfachste aus seiner Sicht: das Ortsschild von Thurland ein Stück versetzen. Dann hätte man Tempo 50. Die ideale Variante freilich sei, die Bushaltestelle in den Ort Klein Leipzig und damit weg von der Landesstraße zu legen. Es müsse geprüft werden, ob der Bus dort wenden kann. "Natürlich geht das", sagt Halamunda. Zu ihrem Straußenhof kommen oft Busse, auch große. "Ich hoffe", sagt sie, "dass die Ämter endlich wach werden."

Werden sie. Heute gibt es in Raguhn ein Krisentreffen mit allen beteiligten Behörden und Landrat Uwe Schulze (CDU). Dienstagnachmittag teilte der Kreis zudem mit, dass es zunächst Tempo 70 geben wird - und einen Hinweis "Achtung Kinder". Die Schilder sollen noch am Mittwoch angebracht werden. Das Verkehrsministerium ließ Fragen danach, ob es nach dem Tod der Neunjährigen auch an anderen Stellen im Land Prüfungsbedarf sieht, am Dienstag unbeantwortet.