Abschied von Jens Bullerjahn Abschied von Jens Bullerjahn : Letzte Ausfahrt Ahlsdorf

Ahlsdorf - Irgendwann kurz vor neun, nach gefühlt 2.000 Pils vom Fass, droht die Stimmung dann doch mal zu kippen: Jens Bullerjahn hat soeben öffentlich eingestanden, zahlendes Mitglied des FC Bayern München zu sein. Also von dessen Fußballabteilung. Da wird es sehr laut im Kulturhaus zu Ahlsdorf, sehr viele Buhs fliegen durch den Saal. Jahrzehntelang hat Bullerjahn für sich behalten, dass er Fan der Bayern ist, jetzt, am Ende seiner Tage als Finanzminister, muss er doch noch einmal eine bittere Wahrheit verkünden. Er kann halt nicht anders.
Wenn es so etwas gibt wie den Heiligen Gral der Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt, dann wird er hier, mitten im Mansfelder Grund, gehütet. Das Avalon der SPD ist ein äußerlich schmuckloser Zweckbau an den Ufern eines Flüsschens mit dem Namen Böse Sieben. Hier trifft sich seit zwei Jahrzehnten die wohl inzwischen größte Tafelrunde aller Zeiten: rund 300 Menschen - vom (ehemaligen) Bergmann bis zum Bankdirektor, vom sozialdemokratischen Ortsvorsitzenden bis zum christdemokratischen Ministerpräsidenten. Sie kommen alle, um zu lauschen. Um sie mitgeteilt zu bekommen, die großen und kleinen Geheimnisse der Politik.
Oben, auf der Bühne, stehen dann mal plüschige Sessel oder eine rustikale Bar. Alles, was in Deutschlands Sozialdemokratie Rang und Namen hat, hat dort schon gesessen: die ehemaligen und amtierenden Parteivorsitzenden Franz Müntefering, Kurt Beck und Sigmar Gabriel. Hamburgs Regierender Bürgermeister Olaf Scholz, der das Steigerlied nicht singen konnte, weil er die Brille vergessen hatte. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die wütend wurde, als man ihr den Text vom Steigerlied vorlegen wollte. Selbst Wolfgang Böhmer, definitiv nicht SPD-Mitglied, ist an diesem Freitagabend zum dritten Mal Gast im Mansfelder Grund. Der Ministerpräsident a.D. marschiert zur „Kuschelpolka“ ein - quer durch den Saal, mit stehenden Ovationen. Amtsnachfolger Reiner Haseloff kommt hingegen unbemerkt über den Seiteneingang. Es hält Hof: Jens Bullerjahn (53), noch der dienstälteste Finanzminister der Republik.
Keinen Kilometer entfernt wohnt Bullerjahn seit Menschengedenken, von Ziegelrode aus hat sich der Prozessingenieur für automatisierte Anlagen 1989 auf den Weg in die Politik gemacht. Sein Vater gab ihm auf selbigen die Empfehlung, nur in eine Partei einzutreten, wenn es sich auch lohne. Für Bullerjahn, das darf man wohl konstatieren, war es nicht immer freudvoll, lohnend wohl schon.
Bullerjahn, der eiserne Sparer
Tags vor seinem letzten Frühjahrsgipfel in Ahlsdorf - angefangen hatten die Veranstaltungen mal als Neujahrsempfang - sitzt Bullerjahn in einem Magdeburger Café, bestellt Weinschorle und verbreitet eine gute Laune, bei der man sich wünscht, er hätte die früher ab und an öfter aufgelegt. Bullerjahn, im Grund seines Herzens zutiefst harmoniebedürftig, konnte fuchsteufelswild werden, wen ihm was nicht passte. Der Begriff „Brüllorgie“ hätte für ihn erfunden werden müssen, wenn es ihn nicht schon gäbe. Seit Wochen aber ist Bullerjahn schon tiefenentspannt, er hat sich augenscheinlich damit abgefunden, dass seine aktive Zeit in der Politik sich dem Ende neigt. Er trägt wieder diese Rudi-Völler-Gedächtnisfrisur aus den Tagen zu Beginn seiner Karriere. Vokuhila in zartem Grau. „Ich muss mir mal noch einen Haarschnitt für die Zeit nach der Politik suchen“, sagt er. Seinen Friseur zu Hause könnte das vor dem Verhungern retten, denn Bullerjahn bekennt auf Nachfrage, im Jahr nicht mehr als 20 Euro beim Barbier zu lassen.
„Ich hinterlasse ein wohl bestelltes Haus“
Ja, das liebe Geld. Wohl kein Politiker in Sachsen-Anhalt wird mit eisernem Sparen mehr in Verbindung gebracht, als der Sohn eines Bergmannes aus Belleben bei Könnern. Zusammen mit Haseloff trieb Bullerjahn die Sachsen-Anhalter im Jahr 2013 zu Zehntausenden auf die Straße - wegen einer angekündigten, aber nur teilweise umgesetzten Kürzungspolitik in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Der SPD hat das bei der zurückliegenden Landtagswahl arg geschadet. Bullerjahn hingegen sagt: „Wir haben unsere Erfolge nicht richtig verkauft oder das der CDU überlassen.“ Stimmt. Mit „Schuldenuhr gestoppt“ warb die Union. Bullerjahn fuchst das nur noch ansatzweise. Er konzentriert sich bei der persönlichen Bewertung lieber auf sein Ministerium. „Ich hinterlasse ein wohl bestelltes Haus.“ Darüber hinaus hätten Finanzminister in der SPD ja immer eine große Karriere vor sich, sagt Bullerjahn in Ahlsdorf voller Selbstironie und Anspielung auf zwei vergebliche Versuche, Ministerpräsident zu werden: „Man wird Finanzminister und hört dann auf.“
Bullerjahn, der Politikrentner? Schwer vorstellbar. Zu seinem letzten Frühjahrsgipfel nach Ahlsdorf hat er sich daher zwei eingeladen, die diesen Weg bereits beschritten haben: Klaus Wowereit, seit Ende 2014 nicht mehr Regierender Bürgermeister von Berlin, und Matthias Platzeck, bis August 2013 Ministerpräsident in Brandenburg. Auf der Bühne stehen beide mit Bullerjahn in der Mitte an einer Bar, doch es wird schnell klar, dass der Balkon der Muppet-Show ein noch besseres Requisit gewesen wäre. Wowereit mimt Waldorf, Platzeck Statler - die beiden ewig nörgelnden alten Herren zum Schluss jeder Show. Opfer der sarkastischen Reden sind jedoch nicht Kermit und Miss Piggy, sondern Bullerjahn und Haseloff.
„Viel Spaß, Herr Haseloff“
Wowereit freut sich, dass der Saal so voll ist, „das alle gekommen sind, die SPD gewählt haben, finde ich toll“. Danach lässt er durchblicken, dass er Bullerjahn wohl auch eher für den Genießer denn einen Asketen Platzeck’scher Attitüde hält. Bullerjahn, der an diesem Abend viel vom Segeln spricht, bekommt von Wowereit vorgehalten, dass er ja offenbar auch als Minister „viele Hobbys pflegen konnte“, wie ein Blick in Bullerjahns Garage verraten habe. Dann giftet Wowereit gegen Platzeck und nennt ihn ironisch „Russlandbeauftragten“, nachdem dieser erklärte hatte, Berlin sei zwar bedeutend, Potsdam aber schön. Und am Sonnabend ginge Wowereit daher auch im brandenburgischen Bad Saarow golfen.
Platzeck räumt aber - und das durchaus ernst - ein, dass er nicht Nein sagen könne. Trotz zweier Hörstürze und einem Schlaganfall mischt er aktiv in der Russland- und Atompolitik der Bundesrepublik mit. Er gehe aber davon aus, so Platzeck im MZ-Gespräch, dass Bullerjahn vernünftiger sei. „Ich habe den Punkt, wann es Zeit ist aufzuhören, nicht von allein entdeckt“, so Platzeck. So richtig ans Aufhören will Bullerjahn aber auch nicht denken. Segeln - Ex-Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre (CDU) nennt seinen alten Kumpel schon mal „Kolumbus von Mansfeld“ - ja, aber freiberuflich will Bullerjahn weitermachen. Ein bisschen Politikberatung, ein bisschen wissenschaftliche Arbeit und hier und da ein Vortrag. Und ehrenamtlich „will ich dem Micha Schädlich beim HFC helfen“, kündigt Bullerjahn im MZ-Gespräch an.
In Ahlsdorf beharkt sich Bullerjahn derweil weiter mit Platzeck, Wowereit und - man staune - Haseloff. Der nennt Wowereit immerfort „Wowi“ und Platzeck „Matthias“ und beide zusammen „zwei Hunde, die nichts mehr machen“ würden, obwohl sie in seinem Alter seien. Selten hörte man Haseloff despektierlicher reden - und lustiger. Wowereit gibt derweil vor, Haseloff zu bedauern, weil der künftig gleich zwei Koalitionspartner am Tisch hätte: „Viel Spaß, Herr Haseloff.“
Zwei Stunden geht das so, selten war ein Politikerabschied unterhaltsamer. Dann steigt Bullerjahn zum letzten Mal aufs Podest und sagt nur: „Das war jetzt das letzte Mal.“ Ob da eine Träne hinter den dicken Brillengläsern funkelte? Man weiß es nicht . . .(mz)
