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Abgeschnitten Abgeschnitten: Was steckt hinter der langen Sperrung der Bahnstrecke Halle-Magdeburg?

07.11.2019, 10:00
Großbaustelle: der Bahnhof in Köthen. Wollen Sie ein Video vom Einbau einer Behelfsbrücke sehen? 
Großbaustelle: der Bahnhof in Köthen. Wollen Sie ein Video vom Einbau einer Behelfsbrücke sehen?  Ute Nicklisch

Halle (Saale)/Köthen - Tausende Pendler sind betroffen: Die Bahnstrecke zwischen Halle und Magdeburg bleibt überraschend ein halbes Jahr länger gesperrt als geplant. Die Bahn hat die Verzögerung am Dienstag mit „Baugrundproblemen“ bei der grundlegenden Sanierung des Bahnhofs in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) begründet. Die Entscheidung der Bahn wirft viele Fragen auf. Alexander Schierholz und Karl Ebert geben einen Überblick.

Was hat es mit den Baugrundproblemen auf sich?

Am Bahnhof Köthen baut die Bahn auf sieben Kilometern Länge in 15 Abschnitten. Für den Bau von Gleisanlagen, aber auch von Fundamenten für Brücken oder Signalmasten wurde an vielen Stellen Boden ausgehoben, wieder aufgefüllt und verdichtet. Nach MZ-Informationen erwies sich der Untergrund dabei zum Teil als nicht so tragfähig wie angenommen. Daher musste an diesen Stellen nachgebessert werden. Die Bahn spricht von „erheblichen Mehrleistungen, unter anderem im Tiefbau“.

Seit wann weiß die Bahn von den Problemen?

Diese Frage hat der Konzern auch am Mittwoch nicht beantwortet. Neben der Öffentlichkeit waren auch wichtige Partner wie das Verkehrsministerium und die Landesnahverkehrsgesellschaft Nasa erst am Dienstag unterrichtet worden, und nicht, wir irrtümlich berichtet, schon am Donnerstag zuvor. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Probleme schon länger bekannt sind: So wurden Ende September/Anfang Oktober per Helikopter insgesamt 48 Masten für Signale gesetzt. Eigentlich sollte es 72 Masten sein, doch es waren nicht alle Fundamente fertiggestellt. Nach MZ-Informationen erfolgten diese Arbeiten auch zwei bis drei Monate später als geplant. Demnach wurden auch Fundamente für den Einbau von Behelfsbrücken zum Teil erst in letzter Minute fertig.

Üblicherweise wird der Boden vor großen Bauvorhaben stichprobenartig untersucht. War das hier auch der Fall?

Die Bahn sagt: Ja, es gab Bodenuntersuchungen. Nach MZ-Informationen ergaben sich dabei allerdings keine Auffälligkeiten.

Kann es sein, dass falsch geplant worden ist?

Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszuschließen und wird sicher Gegenstand interner Untersuchungen sein.

Wie geht es jetzt weiter in Köthen?

Die Deutsche Bahn will ihre Kräfte zunächst darauf konzentrieren, gemeinsam mit der Nasa und Zugbetreibern wie DB Regio und Abellio einen neuen Fahrplan für die Zeit ab dem 15. Dezember dieses Jahres aufzustellen. Zu diesem angestrebten Zeitpunkt sollte die Strecke über Köthen eigentlich längst wieder frei sein. Angestrebt wird nun, den bisher gültigen Fahrplan möglichst beizubehalten.

Was würde das für Pendler bedeuten?

Im Prinzip, dass alles so bleibt wie es seit Juni ist. Das heißt: Die IC-Züge zwischen Halle und Magdeburg werden weiterhin über Bitterfeld und Dessau umgeleitet, ebenso der Regionalexpress der Linie 8. Zwischen Halle und Köthen beziehungsweise Sachsendorf (nördlich von Köthen) pendeln Busse. Ob das weiterhin möglich ist, muss aber noch geprüft werden.

Warum kann der bisherige Fahrplan nicht einfach weiter gelten?

Weil am 15. Dezember bundesweit neue Fahrpläne in Kraft treten. Darauf müssen die Planer in Sachsen-Anhalt Rücksicht nehmen, da auch Fernverkehrslinien wie der IC von Leipzig über Halle und Magdeburg Richtung Köln und Nordseeküste betroffen sind.

Bisher ist Köthen auf der Schiene noch von Dessau aus erreichbar. Mitte November sollte auch diese Verbindung für vier Wochen vorübergehend gekappt werden, so dass die Stadt dann vollständig vom Netz abgeschnitten wäre. Bleibt es dabei?

Das ist noch nicht klar. Die Nasa deutete am Dienstagabend an, die Linie Dessau-Köthen könnte offen bleiben. Die Arbeiten seien aufgrund des Bauverzugs noch gar nicht so weit, dass auch diese Verbindung dicht gemacht werden müsste. Allerdings hat der hier zuständige Zugbetreiber Abellio schon die Fahrpläne für den Bus-Ersatzverkehr während der vierwöchigen Sperrung vorbereitet.

Das Land ist für den Schienennahverkehr zuständig. Wie reagiert es auf die neue Situation?

Das Verkehrsministerium und die Nasa sind von der Bauverzögerung ebenso überrascht worden wie die Öffentlichkeit. Minister Thomas Webel (CDU) reagierte am Mittwoch verschnupft. Trotz guter Bauplanung könnten unvorhersehbare Probleme mit dem Baugrund immer auftreten, sagte Webel. Und fügte hinzu: „Aber das weiß man nicht erst seit gestern.“ Webel forderte die Bahn auf, eine „konstruktive Lösung“ zu entwickeln, um den Zugverkehr bis Ende Mai abzusichern.

Nasa-Geschäftsführer Peter Panitz verlangte von der Bahn, Bauvorhaben verlässlicher zu planen und die Interessen der Fahrgäste stärker zu berücksichtigen. Angesichts des Bauverzuges in Köthen stelle sich die Fragen, wie belastbar Aussagen des Konzerns zu Zeitplänen bei großen Bauprojekten eigentlich seien, sagte Panitz.

Hat es ähnliche Fälle in Sachsen-Anhalt schon gegeben?

Ja. Im Mai des Jahres 2016 stellten Planer beim laufenden Umbau des halleschen Hauptbahnhofes fest, dass die Fundamente der östlichen Bahnsteighalle marode waren. Bei Probebohrungen war dies damals nicht aufgefallen. Die Folge: Die Tragkonstruktion musste daraufhin komplett erneuert werden. Die Bauzeit verdoppelte sich daher von zwei auf vier Jahre, die Baukosten erhöhten sich um 50 Millionen Euro. Im Dezember soll der Bahnhof nun bis auf drei S-Bahn-Gleise fertig werden. (mz)