Rieko lernt bei Geißler, Verantwortung zu tragen
MASSNITZ/ZEITZ/MZ. - Der Schäferhund entstammt Geißlers eigener Zucht und er soll zum Führhund für einen blinden Frankfurter ausgebildet werden. Für eine große Stadt mit viel Verkehr. Doch Rieko ist erst ein Jahr alt. Und auch wenn er schon eine Schulterhöhe von 65 Zentimetern aufweist, ist er noch sehr schlank, ein wenig verspielt und beginnt gerade erst mit der Lehre bei Geißlers. Und für den Anfang ist eine Kleinstadt wie Zeitz gerade richtig.
Ziel der Ausbildung ist es, die eingeschränkte Mobilität und Orientierungsmöglichkeit einer blinden oder sehr stark sehbehinderten Person weitestgehend auszugleichen. Dabei muss der Hund auch selbstständig reagieren. Vom Schützenplatz an wirft Rieko einen Blick in jede offen stehende Toreinfahrt, verharrt an der Straßenecke und hält vor der Fußgängerampel. Und überlegt sichtlich, ob er den Schäferhund begrüßen sollte, der ihn aus leeren Schaufenstern anblickt. Das ist schon in Ordnung, sagt Geißler. Jedes Ding hat seine Zeit. Rieko habe sehr gute Anlagen, sei im guten Sinne neugierig, lerne gern und habe den Gesundheitscheck samt Röntgen, Blutbild und EKG bei Dr. Schmidt in Meuselwitz mit Bravour bestanden.
Jetzt muss er nur noch lernen, auf etwa 45 Laute richtig zu reagieren und begreifen, was für eine sehbehinderte Person wichtig ist. Er soll geradlinig führen, aber Höhen-, Seiten- und Bodenhindernisse anzeigen oder sie umgehen. Türen, Ampeln, Fußgängerüberwege, Sitzplätze, Fahrstühle, Briefkästen, Treppen soll er anzeigen, in Gefahrensituationen den Gehorsam verweigern. Das kann an Bahnsteigkanten, Abhängen oder Absperrungen und vor Mauern sein.
Sechs bis neun Monate dauert die Spezialausbildung, dazu kommt ein Einarbeitungslehrgang, in dem der Hund sich an die neuen örtlichen Gegebenheiten gewöhnt und in dem sich Vertrauen zwischen dem Tier und seinem neuen Besitzer entwickeln muss. Bei alledem müsse der Blinde sein Navigationssystem selbst im Kopf haben, betont Geißler. "Das Sagen hat der Blinde, nicht der Führhund."
Hans-Jürgen Geißler ist seit 1975 Mitglied im Tröglitzer Hundesportverein "Gerhard Marx". Er liebt Deutsche Schäferhunde, züchtet sie seit 1981 und machte 1995 sein Hobby mit der Errichtung einer Hundeschule und -pension zum Beruf. Seit 2004 ist das Familienunternehmen im ehemaligen Wasserwerk neben dem Pumpwerk Maßnitz zu Hause. Die Blindenführhundschule meldete er zusätzlich 2005 als Gewerbe an. Da reicht freilich die Spiel- und Trainingsstrecke im Grünen nicht aus. Wenn Rieko älter ist, wird er mit ihm nach Leipzig und Gera fahren, damit er Routine bekommt, sich auf seine Aufgabe konzentriert und sich nicht so leicht ablenken lässt.
Im Übrigen wundert sich Geißler gelegentlich über die Mitmenschen. Zum Beispiel, wenn sie in der löblichen Absicht zu helfen, den Hund ansprechen, gar ins Führgeschirr greifen oder Blinde einfach am Arm nehmen und ihn samt Hund wegziehen. "Sehbehinderte sind doch nicht automatisch geistig behindert. Sie sind dankbar über Hilfe auf dem Weg, aber das muss man natürlich mit ihnen absprechen, und nicht mit dem Hund", sagt der 51-Jährige. Das gelte auch und besonders an Ampeln und Fußgängerüberwegen.