Heimatgeschichte Zeitz Heimatgeschichte Zeitz: Mittelalterliche Bilder der Residenzstadt

Zeitz - Otto Eduard Schmidt (1855-1945), zwischen 1910 und 1919 Rektor des „Gymnasium Albertinum“ im sächsischen Freiberg, verfasste in seinem langen Leben und neben seiner pädagogischen Tätigkeit unzählige Bücher, was ihm den respektvollen Titel „sächsischer Fontane“ einbrachte. Vor dem Ersten Weltkrieg unternahm er unzählige „Kursächsische Streifzüge“, die er als eindrucksvolle landeskundliche Reisebeschreibungen in sieben Bänden unter dem gleichnamigen Titel im Verlag von Otto Spamer in Leipzig veröffentlichte.
Zeitz, die alte sächsische Residenzstadt, bereiste er ebenfalls, da sie in den alten Grenzen vor dem Wiener Kongress bis 1815 zum Kurfürstentum Sachsen gehörte. Der Blick des erfahrenen Außenstehenden und Fremden, jenem, der mit Recht von sich behaupten kann, viele Städte gesehen zu haben, brachte über Zeitz folgende aufschlussreiche Zeilen zu Papier:
„(…) Das Alte war immer zu mächtig, das Neue zu schwach: Daher fehlt dem Stadtbilde bis jetzt noch jeder einheitliche Zug: charakteristisch dafür ist der Altmarkt mit den unruhig auf und nieder steigenden Linien der hohen und niedrigen, flachen und steilen Dächer, der glatten und ornamentierten Fassaden, mit den altertümlichen Portalen und hochgetürmten Giebeln, neben denen die modernsten Geschmacklosigkeiten sich breit machen. Umso mehr ist es anzuerkennen und erfreulich, dass nun endlich in dem prachtvoll erneuerten Rathaus ein Vorbild und ein Stilmuster geschaffen ist, nach dem sich das jetzt mächtig aufstrebende Zeitz organisch und naturgemäß, am bewährten Alten festhaltend und zugleich modern entwickeln kann. (…)“
Der Rathausneubau sollte nach Schmidt demnach als gestalterisches Leitbild für künftiges Bauen in Alt-Zeitz dienen und damit die perfekte und notwendige Symbiose von Alt und Neu hervorrufen.
Mit Fördermitteln aus dem Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ wurde eine der größten und wichtigsten innerstädtischen Baumaßnahmen in einem Zeitraum von über zwei Jahren und Gesamtkosten von 2,5 Millionen Euro realisiert. Nach über zweijähriger Bauzeit nahmen die Zeitzer am 12. Mai 2014 endlich Besitz von ihrem neuen Altmarkt. Von Anfang an dabei war die baubegleitende Archäologie des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie aus Halle (Saale). Die dabei zahlreich neu gewonnenen Erkenntnisse verdienen eine ausführliche wissenschaftliche Auswertung und Darstellung in einer Publikation, die in hoffentlich absehbarer Zeit der Öffentlichkeit vorgelegt wird.
Dass sich so manche quellenkundliche, über Jahrhunderte tradierte Überlieferung der Chronisten über die Entwicklung und Größe des Altmarktes dabei als Hypothese herausstellte, weil sie allein auf theoretisch konstruierten Mutmaßungen beruhte, bewiesen die umfassenden archäologischen Grabungen während des Umbaus 2011-2013 unter Grabungsleiter Peter Hiptmair. Bis ins Spätmittelalter war der Altmarkt ein bedeutend kleinerer Marktplatz. Zahlreiche Funde belegen ein reges gesellschaftliches Treiben auf dem östlichen Teil des heutigen Platzes.
Der westliche Bereich des Altmarktes war im Mittelalter hingegen bebaut, das heißt, gegenüber den Häusern Altmarkt 23 und 24 standen vis-à-vis Gebäude, deren Spuren unter dem Pflaster des Marktes erhalten geblieben sind. Es scheint so, als müsse die Geschichte der guten Stube von Zeitz zumindest teilweise durch die Stadtkernforschung neu geschrieben werden. Freigelegt wurden durch das Ausgrabungsteam mittelalterliche Hausgrundrisse und Keller, Abfallgruben, Keramikscherben, ein Trompetenfragment, Spielsteine aus Ton oder Knochen und eine anschauliche Keramikfigur, die Mutter Gottes mit Kind zeigend aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Die Funde versetzen uns in die Welt mittelalterlichen Marktreibens mit Edelmännern, Händlern, Gauklern, Spielleuten und Bettlern. Auf dem Altmarkt wurde demzufolge im Mittelalter vielfältiger Handel betrieben und auch Musik und Geselligkeit kam nicht zu kurz. Händler aus verschiedenen Regionen des Deutschen Reiches brachten ihre Ware und natürlich Münzen mit nach Zeitz, die, erhalten unter der Oberfläche, interessante Rückschlüsse auf den Zeitzer Fernhandel gestatten. Erhaltener Brandschutt dokumentiert die Zerstörung der Stadt durch die Hussiten im 15. Jahrhundert. In der Folgezeit nahm der Altmarkt allmählich seine heutige Gestalt und Größe an.
Ein 2012 auf dem östlichen Teil des Altmarktes freigelegter, ungefähr 30 Meter langer Kanal als Teil des Abwassersystems aus Richtung Kalkstraße präsentierte seine erstaunlich gute Erhaltung mit aufwendiger Mauerung. Datiert wird der Abwasserkanal von den Archäologen in die Übergangszeit vom 16. zum 17 Jahrhundert. Eine Nutzung wird bis ins 19. Jahrhundert angenommen. Insbesondere ein mittelalterlicher Keller mit gut erhaltener Treppe sowie ein Gewölbebogen-Durchgang zu einem weiteren Raum, also alles das, was sich heute unter dem Nebelbrunnen befindet, belegt die historische Verlängerung der Fischstraße und einen völlig anderen räumlichen Übergang an der Ecke zwischen Fischstraße und Altmarkt.
Bereits Koch und Richter sahen es in ihrer Schrift „Gangsysteme unter Zeitz“ 1977 als sicher an, „dass über dem 48 Quadratmeter großen Gewölbe vor Friedensplatz 21 in gotischer Zeit ein Haus stand, das mit seiner Schauseite dem Markt zugewandt war.“ Durch Einbruch der Straße vor Altmarkt 21 im Jahr 1933 waren dieses Gewölbe sowie das Gangsystem zum Haus Altmarkt 24 damals bereits kurzzeitig sichtbar geworden. Eine Vermessung der Anlage erfolgte leider nicht. (mz)


