Glück und Schrammen
NAUMBURG/MZ. - Halbzeit auf dem Chefsessel im Landratsamt? Zugegeben, das ist ein wenig um die Ecke gedacht. Aber das könnte vielleicht einmal stimmen, wenn sich Landrat Harri Reiche entschließen würde, 2014 noch einmal für sieben Jahre anzutreten und eine Mehrheit ihn haben will. Abgeneigt scheint er nicht, aber .
"Ich habe mir vorgenommen, mich dazu im Spätsommer 2013 zu äußern", sagt Reiche. Wenn er sich dann gesundheitlich gut fühle. Und wenn er die entsprechende politische Unterstützung bekomme. Welche? Da scheint er sich sicher. Die der CDU. "Der fühle ich mich politisch am nächsten, ohne dass ich alles mitgehe", sagt Reiche. Und Mitglied werden will er dort auch nicht. "Ich trete in keine politische Partei mehr ein."
Damit ist er zuletzt gut gefahren. Er kann auf die SPD genauso gut zugehen wie auf die FDP, auf die Linke wie auf die, die ihn zuletzt vor der Wahl 2007 auf ihren Schild gehoben hatte - die CDU. Am wenigsten nahe steht er vielleicht den Grünen, deren drei Kreistagsmitglieder ihn von den demokratischen Parteien am häufigsten kritisieren. Aber auch da bemühe er sich um Zusammenarbeit, sagt Reiche. Flexibilität scheint ihm irgendwie auf den Leib geschrieben.
Ankunft nahe der CDU
Zehn Jahre ist Reiche mittlerweile Landrat. Am 7. Juli 2001 wurde er erstmals vereidigt. Die Kreistagssitzung im Burgenlandkreis, damals noch ohne Weißenfels-Hohenmölsen, fand im Sitzungssaal der Sparkasse in Zeitz statt. Und Reiche war Mitglied der SPD.
Nach langen Jahren in der SED, unter anderem ab 1984 als Bürgermeister in Wohlmirstedt, fand er bei den Sozialdemokraten die politische Heimat. 2004 verließ er aufgrund verschiedener Querelen dieses Zuhause, ehe zwei Jahre später das Gastverhältnis mit der CDU begann. Manchen bringen die politischen Wechsel ins Grübeln, selten werden sie ihm zum Vorwurf gemacht. "Ich stehe dazu", meint er.
In den zehn Jahren im Chefsessel bekam er manche Schramme ab, resümiert die Zeit jedoch als glückliche und erfolgreiche Jahre. Dabei ist er selbstbewusst genug, die Erfolge für sich zu reklamieren, fair genug aber auch, klar zu machen, dass die Erfolge viele Väter haben. Da nennt er die Mitarbeiter in der Verwaltung ebenso wie die Mitglieder im Kreistag, die Bürgermeister in den heute elf Einheits- und Verbandsgemeinden im Burgenlandkreis und die Vertreter der mehr als 360 Orte im Kreis. Und nicht zuletzt die Chefs in der Wirtschaft. Überall ist er gern gesehen, wohl aufgrund seiner Volksnähe, ohne dass er hemdsärmelig daherkommt.
Resümee auf 20 Seiten
Mehr als 22 Prozent betrug die Arbeitslosigkeit, als der heute 58-Jährige sein Amt vor zehn Jahren antrat. Die ist halbiert. Der allgemeinen wirtschaftlichen Lage wegen, aber auch "weil wir im Burgenlandkreis viel getan haben, um Ansiedlungen den Weg zu bereiten", formuliert er. Und da verweist er auf Unterkaka ebenso wie auf den sich zur Erfolgsgeschichte entwickelnden Industriepark Zeitz, auf die Nahrungsgüterwirtschaft im Weißenfelser Raum und auf die touristische Entwicklung der Kulturlandschaft zwischen Naumburger Dom und Arche Nebra.
Auf 20 A-4-Seiten hat Reiche seine Zeit als Landrat zusammengefasst. Jeweils ein, zwei Seiten für jedes Jahr. Das jede Jahresaufzeichnung mit der Arbeitslosenrate, der Beschäftigtenzahl der Kreisverwaltung, der Höhe der Kreisumlage und dem Schuldenstand anfängt, hat seinen guten Grund. Vor allem diese Zahlen geben Auskunft über seine Handlungsfähigkeit und die des Kreises ist. Da passt denn die Entwicklung ins Konzept: Arbeitslosigkeit, Beschäftigtenzahl und damit Personalkosten sowie Schuldenstand sind gesunken, die Kreisumlage ist gestiegen.
Die Aufzeichnungen erinnern ihn an Zäsuren im Landratsleben. Gleich zu Beginn der Amtszeit wurde er mit der finanziellen Krise des Naumburger Klinikums konfrontiert. Danach kam die Fusion der Kliniken in Naumburg und Zeitz. Weitgehend geräuschlos gelang es, den alten Burgenlandkreis und den Kreis Weißenfels und später auch die Sparkassen zusammenzufügen.
Wahlfälschung und Müllskandal
Auf den Seiten finden sich aber die Verweise über die Einstellung der Zuschüsse an das Theater Zeitz im Jahr 2003 ebenso wie die Wahlfälschungsgeschichte von 2006. Die hat ihm einige Schrammen eingebracht. Er habe zu zögerlich gehandelt, als es darum ging, die Kreistagswahl zu wiederholen. "Ich wollte nur, dass erst alles genau geprüft wird, ehe wir entscheiden", sagt Reiche auch heute noch. Die Wahl wurde wiederholt und es gab noch längere juristische Auseinandersetzungen gegen Reiche, weil zwischen der gefälschten und der neuen Wahl Geld an die Fraktionsgeschäftsstellen überwiesen worden war. Mit einer Zahlung von 3 500 Euro aus eigener Tasche zog Reiche einen Schlussstrich unter das Verfahren gegen ihn.
Schrammen bekam der Landrat auch beim Müllskandal ab, der 2008 begann, große Kreise zu ziehen und bis heute juristisch nicht beendet ist. Auch da fand mancher, der Landrat hätte als Verwaltungsratschef der Abfallentsorgung die Zeichen früher erkennen und schneller handeln müssen. "Aber auch hier habe ich erst einmal mögliches Vorgehen rechtlich prüfen lassen", sagt er. Dann musste der Chef des Entsorgers den Hut nehmen und das Unternehmen wurde umstrukturiert. Reiche wurde schließlich sogar vor den Untersuchungsausschuss des Landtages zitiert.
Dass er sich im Dienst auch noch Schrammen im Wortsinn geholt hat, soll nicht unerwähnt bleiben: als er mit Prominenten per Fahrrad vom Mittelberg, dem Fundort der Himmelscheibe, abfuhr und arg stürzte. Heute kann Reiche darüber wieder lachen. Die anderen Schrammen, die gehören eben genau wie die Erfolgsgeschichten, zum Leben eines Landrates dazu.