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Erinnerungen Erinnerungen: Tüte mit Holzwolle und kleinen Keksen gefüllt

Von Uta Förster 02.08.2002, 14:05

Kleinpörthen/MZ. - Nein, aufgeregt ist Marie-Therese Kiontke nicht. Das kommt bestimmt erst am Montag, wenn die Sechsjährige zum ersten mal in ihrem Leben die Schulbank drückt. Doch bis dahin bleibt noch ein wenig Zeit.

Zeit, um dieses Ereignis, das einen Einschnitt im Leben der Kleinen bedeutet, auch gebührend zu feiern. Am Samstag bekommt das zierliche Mädchen aus Kleinpörthen in der Grundschule Droßdorf feierlich ihre Zuckertüte überreicht, von der sie ganz konkrete Vorstellungen hat. "Eine Maus muss auf dem Bild sein und ein Käse mit Löchern", erklärt Marie-Therese, genau so, wie im Katalog.

Jede Menge Süßigkeiten soll die bunte Tüte enthalten und ein neues Top. "Mein altes ist nämlich zu klein geworden", begründet das Mädchen mit den Zöpfen. Und dann wäre es schön, wenn eine Puppe raus guckt, so wie auf dem Foto vor ihr, das die Mutter zur Einschulung zeigt.

"Ganz oben auf meiner Zuckertüte saß eine Art Barbiepuppe", erinnert sich die Mutter, Grit Kiontke, an ihren Schulanfang in September 1976. Einen roten Schlafanzug zog sie damals mit an Land, den sie der größeren Schwester gab, weil er eine Nummer zu groß war. Dazu steckte jede Menge süßes Marzipan in ihrer Zuckertüte, die relativ schwer war. Doch noch viel schwerer war der große Ranzen. "Weil ich ein zierliches Modell war, konnte ich den gar nicht tragen und nahm den kleinen von meiner Schwester", plaudert Frau Kiontke.

Auch der erste Schultag ist der jungen Frau noch gegenwärtig. Zwei Kilometer legte sie mit der Nachbarstochter von Beiersdorf nach Pölzig in die Schule zurück. Einen Monat später fuhren die Mädchen täglich mit dem Fahrrad.

Vom Fahrrad konnte Frau Kiontkes Vater Heinz Freyer mit sechs Jahren nur träumen. Auch an eine Feier zum Schulanfang dachte 1944 niemand. Schließlich war Krieg und es gab nichts. "An diesem Tag herrschte unheimliches Sauwetter", erzählt der 64-Jährige. Daher erklären sich auch die schmutzigen Schuhe auf dem Foto mit der Zuckertüte. "Wir sind nur rüber in die Schule gelaufen und haben die Zuckertüte erhalten". Davon war der größte Teil mit Holzwolle ausgestopft. Nur ganz oben lagen aus Zuckerrübensaft gewonnene Bonbons. "Und bei mir selbst gebackene kleine Kekse", ergänzt Johanna Freyer, die Großmutter von Marie-Therese, die Erzählung ihres Mannes. "Oh, die hat Keks''chen drauf", stellten die anderen Mädchen und Jungen zur Einschulung im Jahre 1945 neidisch fest.

Die grün glänzende Zuckertüte wurde nicht nur von einem genutzt. "Vor mir gehörte sie meinem Cousin und dann meinen beiden Brüdern", sagt Frau Freyer. Mit 40 Mitschülern drückte die heute 63-Jährige damals die Schulbank. Auf den Vierer-Holzbänken mit schrägem Pult und Tintenfass drängten sich bis zu sechs Kinder.

Den strengen Klassenlehrer sieht die Großmutter heute noch vor sich. "Wir durften nicht Muddel und Vaddel sagen, sondern nur Mutter und Vater", schildert sie eine Episode aus der Schulzeit. Als sie eines Tages eine Unterschrift holen musste und vom Lehrer gefragt wurde, wer zu Hause war, rutschte ihr "der Vaddel" raus. "Da gab es gleich etwas mit dem Rohrstock auf die Fingerspitzen".

Marie-Therese verfolgt die Geschichte mit großen Augen. "Ihr hattet aber einen bösen Lehrer", stellt sie fest und ist froh darüber, dass diese Zeiten der Vergangenheit angehören. Kommentar