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Auch Evakuierte verloren in Langendorf ihr Leben

Von Maria Barsi 21.01.2005, 18:59

Langendorf/MZ. - Rudolf Buschner war 13 und wohnte am Anger. "Unsere Ecke war vernebelt, aber der Kirchturm guckte raus", sagt er, "uns ist nichts passiert, aber wir haben Hilferufe gehört. Das war Utas Opa. Mein Vater und unser Pole Janek sind hingerannt, um zu helfen." Auch Uta Arnold wohnte am Anger. Ihr Großvater hatte sich geweigert, in den Keller zu gehen und sich in einem Polsterstuhl hinter den Berliner Ofen gesetzt. "Er musste doch aufpassen, was passiert. Sie wissen doch, wie die Männer sind", sagt Frau Arnold. Der Luftdruck schleuderte ihn quer durchs Zimmer.

"Wir lagen im Keller unterm Wohnhaus auf den Kartoffeln", erzählt sie mit leiser Stimme. "Meine Großmutter hatte meine zwei älteren Geschwister in den Armen, meine Mutter mich und meinen jüngeren Bruder." Die Bomben rissen das halbe Wohnhaus und die halbe Scheune weg. Und sie verschütteten die beiden Frauen und die vier Kinder. "Als sie uns ausgegraben hatten, da waren meine Oma und die zwei älteren Geschwister tot. Mein fünfjähriger Bruder hatte eine Platzwunde am Kopf und meine Mutter hatte ein zweimal gebrochenes Bein." Auch Helmut Pfauder hatte am Anger gewohnt. Als die Sirene losheulte, arbeitete er auf dem Feld mit dem Traktor. Er starb auf dem Weg nach Hause am Dorfrand.

Luzie Giel war 19 und an jenem unvergesslichen Tag hatte sie mit der Mutter Zuckersirup gekocht. Das machten sie immer im Stall mit dem starken Gewölbe, doch weil der Sirup so heiß war und so süß roch, hielten sie sich im Wohnhaus auf, als der Alarm ausgelöst wurde. Und es traf den Stall. Vier Bauerngehöfte gab es im Rodaer Winkel und bei dreien davon hatte es die Ställe zerstört, Pferde und Schweine, Kühe und Jungrinder getötet. Das vierte schien unversehrt, aber am nächsten Morgen explodierte in seinem Stall ein Blindgänger und tötete alle Kühe.

Gisela Müller war 16 Jahre alt. Ihre zwei jüngeren Geschwister waren aus der Schule gekommen, sollten mithelfen, ausgebombte Städter im Dorf unterzubringen. Da ging die Sirene los und sie gingen in den Keller. Plötzlich habe der Gendarm im Hausflur gestanden und gesagt: "Es ist alles kaputt draußen, es gibt Tote." Viele Flüchtlinge waren unter den Toten, viele Kinder.

Auch Susanne Schellbach, ein Jahr älter als Gisela und ihre beste Freundin, saß mit den Eltern, mit Langer-Dora und vielen Evakuierten in ihrem großen, tiefen Keller. Eine Bombe schlug zwischen Haus und Kuhstall ein und tötete drei Kühe. Die Menschen überlebten. Nicht aber die Nachbarn von der Bäckerei Dost. Vier Tote. Und auch bei Familie Pfau, die neben dem Brauhaus von Susannes Eltern wohnten, gab es vier Tote, alles Kinder. Drei von Pfaus und ein Flüchtlingskind, das gerade erst angekommen war. "Die Toten lagen nachher alle in der beschädigten Kirche. Als wenn sie schliefen. Ich kann es bis heute nicht begreifen."