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Wittenberg Wittenberg: Gelungenes Heimspiel für Anne-Dore Baumgarten

Von erhard hellwig-kühn 23.03.2012, 17:29

wittenberg/MZ. - Anlässe für das Wandelkonzert im Wittenberger Predigerseminar am Dienstagabend gab es zur Genüge: Das Gemeinschaftskonzert von "Leucorea musica" und "Musik im Seminar" im Augusteum fand nach 32 Jahren zum letzten Mal statt. Die zweimanualige Schuke-Orgel war an diesem Ort zum letzten Mal zu hören, man wird sie nicht wieder sehen. Sie wird abgebaut, umgebaut und für die nächsten Jahre in Potsdam bei der Orgelbaufirma Karl Schuke eingelagert, bevor sie als Chororgel mit elektrischer Spiel- und Registertraktur versehen und hinter dem Fürstengestühl eingebaut, also "versteckt" wird. Ob das so eine tolle Idee ist, dieses Denkmal der Orgelbewegung zu elektrifizieren und aus Denkmalschutz-Gründen zu verstecken, mögen andere beurteilen. Ein weiterer Anlass? Man gedachte des 227. Geburtstags Johann Sebastian Bachs.

Es war nur richtig, zu diesen Anlässen die langjährige Kantorin der Schlosskirche und im Predigerseminar Anne-Dore Baumgarten einzuladen, um zusammen mit ihrem Nachfolger, Thomas Herzer, ein letztes Wandelkonzert im Augusteum und der Schlosskirche zu veranstalten. Natürlich war es ein herzlicher Empfang, den ihr die zahlreichen Besucher bereiteten. 2003 ging Baumgarten nach fast 25-jähriger Tätigkeit in Wittenberg in den Ruhestand und zog in ihr Haus auf dem Darß. Äußerlich hat Baumgarten sich nicht sehr verändert. Sie wirkt zart und zerbrechlich mit gütigem Blick, wie eh und je. Sie freute sich auf dieses Heimspiel. Ein bisschen Wehmut schwang mit, als sie einen Rückblick gab auf die von ihr initiierten Musiken im Seminar, insbesondere vom ersten Konzert am 22. Januar 1980. Sie hatte noch so genannte Ormig-Drucke der Programme von damals dabei. Es betrübe sie, dass es das letzte Konzert sei, aber: "Wir werden es nicht betrauern, sondern Musik machen." Und so begann der erste Teil mit Werken von und um Bach. Herzer spielte zu Beginn Bachs Ouvertüre aus der Partita Nr. 4 der Clavierübung 1. Teil auf dem Cembalo, mit der er den inneren Reichtum, die Schönheit und die Größe dieses Werkes kompetent darbot.

Es folgte die Partita "Jesu, meine Freude" von dem Bach-Freund Johann Gottfried Walther, deren Variationen abwechselnd auf dem Cembalo (Herzer) und der Orgel (Baumgarten) vorgestellt wurden. Danach eine Kanzona von Max Drischner, einem Freund von Albert Schweitzer, der ein großer Bach-Kenner und -Enthusiast war. Drischners kaum bekannte Kanzona war eingängig und nordisch-volkstümlich, von Baumgarten intensiv durchdacht und klangschön dargeboten. Nach zwei Präludien und Fuge (BWV 846 und 847) aus dem Wohltemperierten Klavier, vorgetragen von Herzer, sowie das Affettuoso aus dem A-Dur-Doppelkonzert, das gemeinsam auf Cembalo und Orgel gespielt wurde, wandelte man zur Schlosskirche, um den zweiten Teil mit drei großen, interessanten Orgelwerken auf der Ladegast-Orgel zu genießen. Schumanns Fuge Nr. 1 über den Namen B-A-C-H, einem Lento, das Baumgarten überzeugend darbot, enthält im Vergleich zu den fünf weiteren Fugen von ihm noch eine relativ konventionelle Form des Themas und gilt kontrapunktisch als meisterhafte Setzweise.

Mendelssohns Präludium in G-Dur spielte Baumgarten ruhig, dahinschwebend in den Klängen und Linien, fast ziellos. Im Gegensatz dazu die thematisch strenge Durchführung des Themas in der Fuge mit barocken Intervallschritten und leisen Anklängen der Töne b-a-c-h in der Fuge. Da war es wieder, das Geburtstagskind. Und dann zum Abschluss Bachs die großartige rezitativische, im breiten Fluss dahinschreitende Fantasie in g-Moll mit dem für die damalige Zeit modernsten Stilelement - einer spiralförmigen Modulation durch fast alle Tonarten, verknüpft mit einer Crescendowirkung, erzeugt durch ihre zunächst Zwei- bis hin zur Fünfstimmigkeit.

Herzer spielte sie und die Fuge hinreißend in einer Bearbeitung vom langjährigen Thomaskantor Karl Straube (1873 bis 1950), sehr romantisiert, eben wie einen Max Reger-Schinken, gewaltig und erschütternd. Die Ladegastorgel in der Schlosskirche war mit ihrer Klangmacht in ihrem Element - und Bach hätte vielleicht augenzwinkernd gesagt: Nötig war es nicht, aber geklungen hat es gut.