Aufruf Rettet die Cranach-Höfe Welche ehemals verbotenen DDR-Filme die Cranach-Stiftung Wittenberg zeigt
Zur Festwoche „35 Jahre Aufruf „Rettet die Cranach-Höfe“ sind in Wittenberg vier besondere Produktionen zu sehen, die in der DDR nicht gezeigt werden durften. Was geboten wird.

Wittenberg/MZ - Peter gilt als schwarzes Schaf der Schule. „Provozierende Scherze, aufmüpfiges Verhalten und ein Aufsatz, in dem er verkündet, dass er die Republik nicht braucht, führen zum Rauswurf. Als er Anne begegnet und lieben lernt, gerät er erneut in einen Konflikt mit dem System.“ Verhandelt wird diese Geschichte in dem Film „Denk bloß nicht, ich heule“, den die Cranach-Stiftung am 11. November in ihrem Studiokino zeigt. Anders als üblich, wird das traditionsreiche Format diesmal nicht im Saal der Evangelischen Akademie präsentiert, sondern im Malsaal der Stiftung. Vor allem aber ist die als Extrafilm-Reihe deklarierte Vorstellungsfolge Bestandteil der Festwoche „,Wo Geschichte Zukunft hat’ – 35 Jahre Aufruf ,Rettet die Cranach-Höfe’“.
Filmhighlights der Reihe
Mit der Festwoche erinnert wird wie berichtet an jenen folgenschweren Aufruf, den in Wittenberg am 7. November 1989, kurz vor dem Untergang des SED-Staates, spontan 50 Personen unterschrieben hatten. Aus der Bürgerinitiative entstand 1990 ein Verein. Am Ende konnten die heruntergekommenen Arbeits- und Wohnhäuser der Cranach-Maler gerettet und saniert werden. Von Äußerlichkeiten abgesehen sind die Gebäude wieder Orte der Kultur, der Bildung (Stichwort: Jugendkunstschule) und des Austauschs. Fester Bestandteil der Offerten ist das Studiokino. Nachdem Eva Löber in den Ruhestand gegangen ist, wurde den Angaben zufolge auf der Jahreshauptversammlung des Cranach-Höfe-Vereins 2023 beschlossen, ein Studiokino-Team zu bilden. Nun unterstützen sechs Kinobegeisterte die Stiftung ehrenamtlich. Corinna Krappe, Mitglied im Förderverein „Cranach-Höfe“, gehört dazu und wenn sie jetzt Defa-Filme aus dem „Giftschrank“ ankündigt, dann sagt sie auch, dass viel Herzblut in die Vorbereitung dieser Extrafilm-Reihe geflossen ist. Allen Produktionen gemeinsam ist, dass sie in der DDR verboten waren. „Weil sie Sachen zeigen, die nicht gezeigt werden sollten“, sagt Krappe unter Hinweis auf das Bild vom „perfekten sozialistischen Menschen“.
Start bereits am 5. November
In die besondere Reihe gestartet wird bereits am Dienstag, 5. November, mit „Sonnensucher“. Der Film von 1958 (Regie Konrad Wolf) macht bekannt mit der Wismut. Der Uranbergbau führt Menschen unterschiedlicher Art zusammen. Solche, die einen Lebenssinn suchen, aber auch Abenteurer und Gestrandete. „Der Film erzählt von der harten Arbeit im Uranbergbau, aber auch von Liebe, Rivalität und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.“
Am 6. November wird „Hände hoch oder ich schieße“ gezeigt. In der Gangsterkomödie verzweifelt Holms, „ein hoch motivierter Volkspolizist an seinem verbrecherlosen Dorf Wolkenheim, das von allen Orten die niedrigste Kriminalitätsrate hat. Sein guter Freund und Ex-Ganove Pinkas versucht zu helfen“, heißt es in einer Beschreibung. Es folgt der erwähnte Film „Denk bloß nicht, ich heule“ (11. November) und schließlich am 12. November „Berlin um die Ecke“. Alle Filme stammen aus zwei DVD-Sammelboxen der Defa, die insgesamt 18 Filme enthalten, die zu DDR-Zeiten verboten wurden. In einer Mitteilung wird auf das 11. Plenum des ZK der SED vom 16. bis 18. Dezember 1965 hingewiesen: „Der ursprünglich als Wirtschaftsplenum geplante Gipfel endete in einem kulturpolitischen ,Kahlschlag’. Erich Honecker warf den Künstlern und Kulturschaffenden ,Nihilismus’, ,Skeptizismus’ und ,Pornografie’ vor. In der Folge wurden zahlreiche Bücher, Theater- und Musikstücke sowie Filme verboten.“ Mit dem Verbot von insgesamt zwölf Filmen sei nahezu die gesamte Jahresproduktion der Defa gestoppt worden. Sie seien fast ausnahmslos bis zum Mauerfall nicht mehr gezeigt worden.
Ein Blick auf die Geschichte
Nach dem Bezug zum Jubiläum „35 Jahre Aufruf ,Rettet die Cranach-Höfe’“ befragt, spricht Corinna Krappe jene Ungewissheit an, mit der es auch die Leute der Initiative zu tun hatten: „Viele wussten nach dem Aufruf nicht, was passiert. Es musste ja auch mit Repressalien gerechnet werden.“ Nun soll jeweils vor der Filmvorführung eine Einführung stattfinden. Es wird zur Entstehung des Films, zum Regisseur und zu den Hintergründen etwas gesagt. Es sei erwünscht, „nach dem Film zu reflektieren und zu diskutieren“, heißt es weiter in einer Ankündigung und auch, dass die Begründungen, warum der entsprechende Film verboten wurde, in den DVD-Hüllen zu finden sind. In der Mitteilung zum Studiokino heißt es: „Die Formulierungen und die Ausdrucksweise in diesen Protokollen der Abteilung Kultur im ZK der SED stammen aus einer Zeit, die wir nicht wieder haben wollen.“
Vorstellungsbeginn der verbotenen Filme im Malsaal der Jugendkunstschule der Cranach-Stiftung Wittenberg ist um 19 Uhr. Karten sind jeweils an der Abendkasse erhältlich zum Preis von drei Euro oder zehn Euro für alle vier Filme.
„Unterschiedliche Gruppen, ein Ziel”
Unter dem Motto „Wo Geschichte Zukunft hat“ steht eine Festwoche, mit der an den Aufruf „Rettet die Cranach-Höfe“ vor 35 Jahren in Wittenberg erinnert werden soll. Zur Eröffnung am Sonntag, 3. November, wird um 14 Uhr im Malsaal der Cranach-Stiftung in der Schlossstraße Monika Kaiser aus Kemberg über die Vermittlung und Wirkung von Kunst sprechen. Bis 10. November finden Tage der offenen Tür statt (14 bis 18 Uhr), geboten werden unter anderem Ausstellungen und Führungen zur Baugeschichte, Bürgerbewegung und Cranachs Welt. Am 5., 6., 11. und 12. November folgen die Filmabende aus der Defa-Reihe „Verboten“ im Malsaal. Für den 8. November wird ein Festabend für Vereinsmitglieder und geladene Gäste angekündigt und am 9. November ein Festkonzert mit dem Wittenberger Salonorchester. Beginn ist 19.30 Uhr.
Infos zur Festwoche und zu den Angeboten der Stiftung sind bei www.cranach-stiftung.de abrufbar
Um die Cranach-Höfe zu retten, hat die Stadt ehedem die Häuser aus Privatbesitz gekauft. Kosten: fünf Millionen Euro. Circa zwölf Millionen Euro flossen in die Sanierung für beide Höfe. Über das Agieren von einst sagte Wittenbergs früherer Bürgermeister Jochen Kirchner unlängst, es gebe kein Schwarz-weiß vor und nach der Wende, sondern auch viele Grautöne. Und es sei ein „idealtypisches Beispiel dafür, wie unterschiedliche Gruppen für ein Ziel gearbeitet haben“.