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Überbordende Gefühlsschau

Von Ute van der Sanden 04.04.2006, 13:28

Wittenberg/MZ. - Eines, das die Motettenkunst des italienischen Frühbarock ebenso pries wie die Leidenschaften der Romantik und die exzentrischen Ausdruckswelten des 20. Jahrhunderts. Im Evangelischen Predigerseminar trugen sie es vor. Elisabeth Baumgarten, Dozentin für Gesang an der Hochschule für Kirchenmusik in Halle und frühere Gesangslehrerin des Schlosskirchenkantors Thomas Herzer, sang wunderbare Motetten und wunderbar die Moderne. Sie jonglierte mit der trockenen Akustik des Saales, forcierte nie, sondern stellte die Schlichtheit des Liedes aus. Mit klarer, gerader Stimmführung legte sie die Melismen der Motetten der italienischen Meister um Monteverdi sauber wie Stuckaturen vor, führte zur Illustration schmerzender Sehnsucht die Chromatik bedeutungsschwer nach unten.

Um die Pause herum war die zeitgenössische Musik gruppiert. Nachgerade verführerisch gab Elisabeth Baumgarten das von Johann Nepomuk David vertonte und also stark expressionistisch ambitionierte Gottesminnelied der Mechthild von Magdeburg, zeichnete sie in den vier "Hohes Lied" genannten Gesängen von H. W. Eichholz intensive Stimmungsbilder, die den Blick in Abgründe eröffneten: "...denn stark wie der Tod ist die Liebe." Das hatte Tiefe, hatte Gestalt. Und hatte viel Text, denn Elisabeth Baumgarten artikulierte vorbildlich bis hin zum prächtig gerollten "r" in Peter Cornelius' "Vorabend". Vier Liedern von Robert Schumann nach Texten verschiedener Dichter, darunter zwei "Lieder der Braut", folgten noch einmal "Brautlieder", diesmal von Peter Cornelius. Auch hierin bestätigte Thomas Herzer seine Qualitäten als wendiger und vielsaitiger Begleiter, als einer, der gut zuhört, der das gewisse Etwas an Sicherheit ausstrahlt, die der Sänger braucht - und obendrein munter zwischen Cembalo, Orgel und Flügel wechselt.

Dennoch erreichten Baumgarten und Herzer mit den romantischen Liedern nicht die künstlerische Höhe, die unaufwändige Einvernehmlichkeit dessen, was vorher geklungen hatte. Für die überbordende Gefühlsschau des romantischen Liedes fehlten Thomas Herzer die pianistischen Klangfarben, die großen musikantischen Bögen und die Magie, seine Töne ans Wort heran zu rücken. Es gelang ihm nicht, den Atem der Sängerin über die Gesangspausen hinweg zu tragen. Und: "Aus dem hohen Liede", ein heißblütiger Liebesschwall von Peter Cornelius, setzt dramatische Züge in der Singstimme voraus. Man hätte es nicht ins Programm nehmen sollen.

Gleichwohl erlebten die vielen Konzertbesucher - der Saal des Predigerseminars war fast vollständig gefüllt! - eine hörenswerte "Musik im Seminar".