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Über Orten in der Elbaue hängt ein Damoklesschwert

Von FRANK GROMMISCH 03.11.2008, 20:56

PRETTIN/GROSSTREBEN/MZ. - Sorgen wachsen auch bei den Landwirten im Kreis Wittenberg. Doch das Schaffen von Poldern im hiesigen Elbebereich sei derzeit kein aktuelles Thema, sagte Flussbereichsleiter Frank Beisitzer. Zumal so ein Projekt einen hohen Finanzbedarf habe. Ein Territorium einzugrenzen, "ist kostenintensiv". Eine ganze Reihe an Deichneubauten und Schöpfwerken wäre zu schaffen. Wann solch ein Vorhaben in Angriff genommen werde, konnte der Flussbereichsleiter nicht sagen. Derzeit stünden die Arbeiten an den bestehenden Deichen im Vordergrund. Im nächsten Jahr würden da Bauvorhaben an der rechten Elbseite bei Klöden verwirklicht. Zur Zusammenarbeit von Sachsen und Sachsen-Anhalt stellte Frank Beisitzer fest: "Wir stehen in regelmäßigem Kontakt."

Große Bedenken gegen das Schaffen von Polderflächen auf sächsischer Seite hat der Großtrebener Diplom-Ingenieur Georg Milling. Nach seinen umfangreichen Analysen ziehen die Regionen Außig, Döbeltitz, Ammelgoßwitz, Polbitz, Dommitzsch, Dautzschen und auch Mauken aus der Errichtung der Flutungspolder keinen Nutzen. "Eher schadet es unserer Region, weil neben den vielen anderen Problemen auch die in diesem Bereich liegenden Grundstücke mit Wohngebäuden zwangsumgesiedelt werden sollen und eine Neuansiedlung von jungen Menschen dadurch abgeschreckt wird." Die Aussage, dass die Polder nur bei einem alle 100 Jahre auftretenden Hochwasser geflutet werden sollen, zieht er in Zweifel. "Das ist in zehn oder 20 Jahren nicht mehr zu kontrollieren, denn es muss schon bei steigenden Wasserständen begonnen werden zu fluten." Zudem könne nicht erst beim Erreichen des entsprechenden Wasserstandes geflutet werden, "denn ein Flutungspolder ist nicht in 24 Stunden voll, da das hydraulische Gefälle ins Hinterland immer geringer wird und das Wasser immer langsamer fließt. Außerdem müssten alle neu zu bauenden Dämme einer Polderfläche genau so sicher errichtet und auch kostenaufwändig unterhalten werden wie die Deiche direkt am Fluss", stellte Georg Milling fest.

Aus seiner umfangreichen Studie zum Hochwasser 2006 ergeben sich andere Problemzonen. Als absolute Schwachstelle habe sich dabei die Flutbrückenanlage der Bahn-Elbe-Querung bei Wittenberg herausgestellt. Es seien bei der Auswertung der Wasserspiegellage zum Hochwasser 2006 bei seiner genau angelegten Messstrecke eklatante Planungs- und Genehmigungsfehler zutage getreten. "Hier liegt der wirkliche Handlungsbedarf. Es muss eine weitere ca. 300 Meter breite Flutbrücke eingebaut werden. Erst dann ist die neue Brückenanlage annähernd so durchlässig wie die alte." Würden die Konstruktionsfehler in Wittenberg beseitigt, könnte auf das Errichten von Polderflächen bei Dautzschen, Mauken und Axien verzichtet werden. Durch den Einsatz von einigen Millionen Euro zur Nachbesserung an der Brückenanlage könnten Hunderte von Millionen Euro zur Errichtung der geplanten Polderflächen eingespart und so die Entwertung der gesamten Region verhindert werden. Neben dem falsch gewählten Bemessungshochwasser wirft Georg Milling den Planern vor, auch die Brückentrasse falsch erstellt zu haben. Die beiden Flutbrücken bei Pratau würden extrem schräg angeströmt, und seien dadurch zu undurchlässig. Das Wasser würde hier bis zu 80 Zentimeter über dem normalen Wasserspiegel angestaut. "Demzufolge ist die Strömungsgeschwindigkeit des Hochwassers durch die Flutbrücken mit ca. fünf Meter je Sekunde derartig hoch, dass nunmehr die Pfeiler beginnen, kritisch zu schwingen. Durch das Betonieren der Rasenflächen unter den Flutbrücken Anfang 2005 wurde die Strömungsgeschwindigkeit erst richtig gesteigert. Risse in den acht Quertrassen der Flutbrücken deuten bereits darauf hin." Seine Schlussfolgerungen begründet Georg Milling, wie erwähnt, mit Resultaten umfangreicher Messungen beim Frühjahrshochwasser 2006. "Um den Verlauf der Scheitelwelle weiter zu präzisieren, richtete ich Anfang März 2006 zusätzliche Pegel am ehemaligen Dammbruch bei Dautzschen, an der Hirschmühle Prettin, der immer noch zu niedrigen Deichrückverlegung Boos und besonders im Anstrom sowie auch über das Querprofil der Elbe Brückenanlage Wittenberg genau definierte Messstrecken ein. Hierdurch war es möglich, neben der Wasserspiegellage der Elbe selbst Reaktionen des Grundwassers in allen genannten Bereichen zu bestimmen." Zu den Schlussfolgerungen von Georg Milling gehört, dass bei einem 35-jährigen Hochwasser (eventuell im Winter mit Treibeis) die Neoprenlager der Flutbrücken der Bahn "förmlich zerfräst" würden. Das hätte zur Folge, dass die Polder bereits bei so einer Gefährdungslage geflutet werden müssten. Das Einrichten der genannten Polderflächen bezeichnet Milling als ein Damoklesschwert zur Entwertung der Elberegion ab Meißen bis nach Wittenberg, um nicht nur die neue Brückenanlage Wittenberg zu entlasten, sondern auch den Elbebereich ab Wittenberg bis nach Hitzacker, ja so gar bis zum Geesthachter Wehr.