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Tourismus in Wittenberg Tourismus in Wittenberg: Wie der Rikscha-Mann aufrüstet

Von Irina Steinmann 15.04.2016, 17:33
Rita Pfundstein und Sven Allendörfer (verdeckt) aus Frankfurt am Main erkunden mit Uwe Bechmann Wittenberg. Von der Rikscha hatten sie durch einen MZ-Artikel im Internet erfahren. Sie sind auf Sachsen-Anhalt-Tour - neugierig gemacht übrigens durch Baumkuchen aus Salzwedel, den sie 2015 bei der Einheitsfeier in ihrer Stadt kosteten, wie Sven Allendörfer berichtete.
Rita Pfundstein und Sven Allendörfer (verdeckt) aus Frankfurt am Main erkunden mit Uwe Bechmann Wittenberg. Von der Rikscha hatten sie durch einen MZ-Artikel im Internet erfahren. Sie sind auf Sachsen-Anhalt-Tour - neugierig gemacht übrigens durch Baumkuchen aus Salzwedel, den sie 2015 bei der Einheitsfeier in ihrer Stadt kosteten, wie Sven Allendörfer berichtete. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Wohl dem, der zwei Rikschas hat. Kann er auf einer „Lutherwurst“ drauf grillen. Seit vier Wochen ist Uwe Bechmann jetzt auch in die Bauarbeiter-Versorgung eingestiegen. Am Schloss gegenüber gibt’s schließlich noch einiges zu tun. Da ist der Grill eine sichere Bank.

Zehn Jahre ist es her, dass Uwe Bechmann, damals Ende 40, den Umstieg probte. In Bremen kaufte er eine Fahrradrikscha, die kam, ganz stilecht, aus Asien, China, um genau zu sein. Mit der Rikscha fuhr der frühere Instandhaltungsmechaniker Hartz IV davon. Nicht finanziell, dazu reicht es bis heute nicht, aber mental - was wahrscheinlich noch wichtiger ist.

Etwa 90 Minuten dauert eine Fahrt mit der Fahrradrikscha durch die Wittenberger Altstadt. Die Tour führt von der Schlosskirche durch Schloss- und Collegienstraße zum Lutherhaus und zurück über Jüden- und Coswiger Straße. Diese Standardfahrt mit ausführlichen Erläuterungen zur Stadt kostet 20 Euro pro Person, Platz ist für zwei. Darüber hinaus ist „Rikscha-Uwe“ mit seinem Gefährt auch für individuelle Touren buchbar. Im Mai etwa steht eine Hochzeit in Coswig an (dorthin gelangt die Rikscha allerdings per Transporter) und wenig später versucht sich Uwe Bechmann auch als Eheanbahner für ein anderes Paar; dass er die Rikscha für diesen Anlass besonders schmückt und auch Sekt bereitstellt, versteht sich.

Standplatz der Rikscha ist an der Schlosskirche vor der Touristeninfo, über die er auch buchbar ist. Den Fahrer erreicht man direkt über Telefon 0152/ 08 38 72 90.

In der Wittenberger Altstadt fährt so einiges herum, allen voran die Altstadtbahn. Hufgetrappel hört man zur Zeit leider nicht mehr: Vor einigen Wochen starb der Kutscher Helmut Schmidt aus Linda, der 2012 den Fiaker in die Lutherstadt gebracht hatte. (mz/irs)

„Wenn ich mal einen Tag nicht fahre“, sagt Rikscha-Uwe, wie er sich selber zu Werbezwecken nennt, „dann fehlt mir was, ich werde unzufrieden.“ Und so sieht man Bechmann, oft solo, mal mit Kundschaft, jetzt in der Saison wieder durch die Altstadt radeln. Ein zufriedener Mann. 20, 25 Kilometer kommen pro Tag zusammen, überschlägt er kurz, macht bei einer Sechs-Tage-Woche etwa 500 Kilometer pro Monat. „Da brauch’ ich kein Fitnessstudio mehr“, sagt der 58-Jährige. Auf dem Grill im Fond der ausrangierten Rikscha nehmen unterdessen die Lutherwürstchen eine appetitliche Färbung an. Vor 11 Uhr ist die erste weg.

Vor zwei Jahren hat er sich ein neues Gefährt gekauft, mit dem er jetzt wieder die Touris durch die Stadt kutschiert. Er hat es extra bauen lassen, in Berlin-Neukölln gebe es eine Firma, die sich auf so etwas spezialisiert habe, sie trage den schönen Namen „Mogul“. Für Bechmann freilich ist es mit am wichtigsten, dass diese Rikscha anders als seine erste nun eine Gangschaltung hat. Und gut gefedert, stellt die MZ nach einem kleinen Test fest, ist sie auch. Heiter erinnert sich Bechmann an seine ersten Fahrversuche vor zehn Jahren.

Er übte damals in der Werkssiedlung, weil dort keine Autos fahren, und lud dann Passanten als Versuchskaninchen ein. Heute schafft er theoretisch 250 Kilogramm Lebendgewicht, nicht schlecht, und weit über 200, 220 kommen auch praktisch rasch zusammen, wenn man, zum Beispiel, etwas beleibtere Amerikaner auf dem Wagen hat. Gereist wird in der Regel pärchenweise, was freilich auch Nachteile habe: Manche schmusten lieber miteinander, anstatt sich anzuhören, was der stolze „Wittenberger seit 58 Jahren“ über seine Stadt zu erzählen hat.

Denn obwohl kein Stadtführer, hat Bechmann doch all die Geschichten parat, die man wissen muss über die Lutherstadt, und noch ein paar Anekdoten obendrauf. Er schätze den Dialog mit seinen Kunden, „ich mag es, wenn man Fragen stellt“. Was er nicht so mag: Wenn er sich umschauen muss, ob da hinter ihm überhaupt noch jemand sitzt... da gebe es durchaus landsmannschaftliche Eigenheiten des Schweigens, aber man muss jetzt ja niemanden verprellen. Auch nicht die Schwaben. Promis hat er in den zehn Jahren so einige an Bord gehabt, berichtet Bechmann weiter, da war der Uwe Seeler, Wolfgang Thierse und Gotthilf Fischer, der selbstverständlich gleich angefangen hat zu singen hoch auf dem gelbgrünen Wahagen.

Uwe Bechmann dreht ein weiteres Würstchen um, die Aprilsonne lacht dazu. Am Nachmittag erwartet er mal wieder Kundschaft, ein Paar aus Frankfurt. Die übliche 90-Minuten-Tour auf der Touristenmeile durch die Altstadt führt auch in die Höfe, das ist der Vorteil gegenüber anderen Gefährten.

Seit nun schon längerer Zeit dockt Bechmann mit seiner Rikscha hin und wieder auch an die offiziellen Stadtführungen an - als Service für Fußlahme (weshalb es auch ein Fußbänkchen gibt). Überhaupt ist die Zusammenarbeit mit der Touristeninfo, vor der auch sein täglicher Stellplatz ist, ziemlich eng. Hin und wieder müsse die ihm mit Audioguides aushelfen, denn trotz allen guten Willens und eines absolvierten Auffrischungskurses: Die drei Jahre Schulenglisch lassen sich nicht so gut aufplustern, als dass es für ausführliche Darlegungen des Wittenberger Stadtlebens reichen würde. Noch nicht, muss man vielleicht sagen.

Denn weitermachen will Bechmann nach diesen ersten zehn Jahren als Wittenbergs (und vielleicht auch Sachsen-Anhalts) erster und einziger Rikschafahrer auf jeden Fall. „2015 war das beste Jahr bisher“, er konnte fahren bis weit hinein in den Dezember. Als Weihnachtsmann für die Kinder, für die es „natürlich“ kleine Geschenke gab. Ein, zwei Monate im Jahr, eben im Winter, „zahle ich zu“, räumt Rikscha-Uwe ein. Er wirkt auch jetzt nicht unzufrieden. (mz)