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Toilettengang oder Fluchtversuch? Toilettengang oder Fluchtversuch?: Ein Bedürfnis eskaliert

Von Ilka Hillger 03.03.2019, 09:40
Wie lange darf ein Bedürfnis verwehrt werden? Ein brisanter Fall wird nun vor Gericht verhandelt.
Wie lange darf ein Bedürfnis verwehrt werden? Ein brisanter Fall wird nun vor Gericht verhandelt. DPA

Wittenberg/Dessau - Wie weit darf man gehen, wenn die Blase drückt? Mit den strafrelevanten Umständen eines verhinderten Toilettenganges hat sich aktuell die 7. Strafkammer des Dessauer Landgerichtes in einer Berufungsverhandlung zu beschäftigen. Auf der Anklagebank sitzt in dieser Woche Bernd L. (Name geändert), dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last gelegt wird.

Der 36-Jährige soll sich am 5. Juni 2017 in einem Wittenberger Krankenhaus der polizeilich angeordneten Blutentnahme nach einer Verkehrskontrolle widersetzt haben. Das Amtsgericht Wittenberg sah dies als erwiesen an und verurteilte Bernd L. vor einem Jahr zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 Euro.

Der Angeklagte wie auch die Staatsanwaltschaft waren gegen dieses Urteil in Berufung gegangen, so dass nun in zweiter Instanz in Dessau entschieden werden muss.

Ein Bier an der Bar

L. war am Tatabend zu später Stunde mit dem Auto in Wittenberg unterwegs. „Ich musste den Kopf frei bekommen“, erklärt er diese nächtliche Fahrt durch die Stadt. Vorangegangen waren für den Koch stressige Arbeitsstunden und noch anstrengendere Gespräche amerikanischer Touristen.

Nach einem Feierabendbier an der Bar habe er sich ins Auto gesetzt und sei losgefahren. Just am Kreisverkehr beim Polizeirevier sei er dann in eine Kontrolle gekommen. Sein Atemalkoholtest ergab einen niedrigen Wert, man habe ihn zu einem Speicheltest auf Betäubungsmittel sodann ins Revier gebeten.

Etwas später fuhr man mit zwei Fahrzeugen und vier Polizisten ins Krankenhaus zur Blutentnahme. Schon im Revier, so der Angeklagte, habe er um einen Gang zur Toilette gebeten. Er sei auf das Krankenhaus vertröstet worden.

Angekommen im Paul-Gerhardt-Stift hätten die Beamten seine folgenden Bitten ignoriert. „Die haben mich wie einen kleinen, dummen Jungen behandelt“, berichtet Bernd L. In seiner Notlage sah er den Ausgang der Notaufnahme als kürzesten Weg, um Abhilfe zu schaffen. Er habe sich beim Warten auf die Blutentnahme in Richtung Tür bewegt und sei dann von den Beamten überwältigt und zu Boden geworfen worden.

Was folgte, klingt in den Schilderungen des Angeklagten unschön. Die Polizisten nahmen ihn in den Schwitzkasten, legten Handschellen an und fixierten L. an einem Bett. Seine erneute Bitte, auf die Toilette gehen zu dürfen, sei wieder nicht gehört worden.

Minuten später war es dann dafür eh zu spät. „Das war danach sehr unangenehm“, berichtet Bernd L. am Landgericht. Dem Vorschlag einer Ärztin, die Nacht in der Bosse-Klinik zuzubringen, habe er zugestimmt, denn „was will man denn noch sagen, wenn man mit Handschellen gefesselt ist“. „Wenn man auf Toilette muss, dann ist es nun mal so“, beendet der Angeklagte seine Einlassung, bevor die vier Polizisten in den Zeugenstand treten.

Drogen konsumiert

Der erste Beamte beschreibt L. am Tatabend als aufgeregt. „Er hat wirres Zeug erzählt und war auffällig“, sagt der Polizist. Der Verdacht auf die Einnahme von Betäubungsmitteln hätte nahe gelegen. Tatsächlich bestätigte sich dies auch beim Speicheltest. Bestritten hatte Bernd L. dies schon in erster Instanz nicht. Drei, vier Tage vor der Tatnacht habe er Drogen konsumiert, um durch die langen Arbeitstage in der Küche zu kommen, erzählt er auch am Landgericht.

Der Polizist erinnert sich in seiner Aussage daran, dass L. beim Einsteigen in den Wagen den Toilettenwunsch geäußert habe. Man hätte ihn auf das Krankenhaus verwiesen. Dort war allen Polizisten die dringende Bitte des Mannes jedoch wieder entfallen.

Der Beamte sei in den Behandlungsraum gegangen, um Papierkram zu erledigen, dann habe er mitbekommen, wie Bernd L. zum Ausgang rannte. „Er hat um sich geschlagen. Wir mussten ihn zu Boden bringen. Er war völlig außer sich“, sagt er.

Dieser Zeuge wie auch die nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen können sich - entgegen der Einlassung des Angeklagten - nicht daran erinnern, dass L. bei Ankunft im Krankenhaus seinen Toilettenwunsch wiederholt habe. Dies sei erst wieder geschehen, als L. gefesselt auf dem Bett lag.

„Wir konnten ihn nicht einfach losbinden, nicht in seiner aggressiven Art und Weise“, so der Polizist.

Dessen Kollegin schildert ihre Beobachtung, dass L. während der kurzen Wartezeit im Krankenhaus bereits immer die Tür beobachtet habe. „Es machte den Eindruck, als ob er flüchten wollte“, erklärt sie. Im Nachhinein habe sie gedacht: „Er hätte doch was sagen können. Wir verweigern doch niemandem, auf Toilette zu gehen.“

Im Übrigen gelte: „Kommunikation ist alles, wenn man sich entsprechend äußert und verhält“. Sie sei niemand, „der Bedürfnisse von Menschen ignoriert“. „Man kann es doch einfach vergessen haben“, kommentiert die Polizistin aber auch Bernd L.s Toilettenwunsch, den er schon auf dem Parkplatz am Polizeirevier äußerte.

Dass eine Flucht seinerseits völlig unsinnig gewesen sei, hatte schon zu Behandlungsbeginn Bernd L. erklärt. Schließlich habe er bereitwillig alle Tests im Revier gemacht und sei freiwillig mit ins Krankenhaus gefahren. Die Beamten hätten seine Autoschlüssel und Papiere gehabt. „Es ergibt einfach keinen Sinn, dass ich flüchten wollte“, so Bernd L..

Kein unbeschriebenes Blatt

Ob dies auch Richter und Schöffen so sehen, weiß man erst in der kommenden Woche. Die Verhandlung am Donnerstag wurde unterbrochen, weil die Akte eines Strafbefehls gegen Bernd L. vom Dezember des Vorjahres noch angefordert werden muss.

Der 36-Jährige ist kein unbeschriebenes Blatt. Während seiner 16 Berufsjahre in der Schweiz erfolgten fünf Einträge im Bundeszentralregister, unter anderem wegen Körperverletzung, Beschimpfung und Bedrohung. Er erhielt dafür Geldstrafen, die er jedoch auch als Ersatz mit Haft absaß. (mz)