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Kirchenmusik in Wittenberg So klingt die Chorkantate von Brahms in der Stadtkirche

Deutsches Requiem wird unter der Leitung von Wittenbergs Stadtkirchenkantor Christoph Hagemann gespielt. Einen echten Höhepunkt liefert die Sopranistin.

Von Erhard Hellwig-Kühn 21.11.2023, 12:05
Während des Requiems in der Wittenberger Stadtkirche
Während des Requiems in der Wittenberger Stadtkirche (Foto: Erhard Hellwig-Kühn)

Wittenberg/MZ. - Zum Ende des Kirchenjahres, am Volkstrauertag, ist von der Kantorei der Stadtkirche Wittenberg Brahms Chorkantate „Ein deutsches Requiem“ unter der Leitung von Kantor Christoph Hagemann aufgeführt worden. Es ist bestimmt eine Generation her, dass dieses großartige Werk in dieser Kirche zuletzt unter Klaus-Dieter Mücksch aufgeführt wurde.

Verzicht auf Konventionen

Dem Brahms-Requiem fehlen sämtliche kirchliche Konventionen. Fast zehn Jahre schrieb er an diesem Riesenwerk. Vergleichbares, wie etwa ein martialisches „Dies irae“ wie bei Giuseppe Verdi oder Hector Berlioz fehlt in seinem Werk. „Nach Worten der heil. Schrift…“ – seiner Lutherbibel – lautet der Untertitel. Das allein ist schon Programm, wobei Johannes Brahms das „Deutsche“ im Titel als „menschlich“ verstanden wissen wollte.

John Eliot Gardiner prägte auch die englische Bezeichnung „Human Requiem“. Sein Requiem war auch kein Auftragswerk. Anlass und Motivation waren neben anderen vermutlich das tragische Ende seines Freundes und Förderers Robert Schumann, der übrigens ebenfalls ein deutsches Requiem plante, sowie der Tod seiner Mutter Christiane, zu der er zeitlebens eine innige Beziehung gehabt haben muss. Sie, die einfache, leicht gehbehinderte Näherin und Kolonialwarenhändlerin bekam ihre drei Kinder mit weit über vierzig Jahren, Johannes mit 44 Jahren.

Der etwa zwanzig Jahre jüngere Vater war Kontrabassist und Hornist mit eher geringen Einkünften, sodass der musikalische Sohn bereits mit 13 Jahren mit seinem Klavierspiel in Hamburger Spelunken zum Familieneinkommen beitrug. Der Tod seiner Mutter beschleunigte die Vollendung und Ergänzung seines Requiems, insbesondere die Teile vier und fünf.

Es ist eine Trostmusik. Das Seelenheil des Gestorbenen stand für Brahms primär nicht im Vordergrund, sondern das Tröstende der Hinterbliebenen. Es geht um den Umgang mit Leid und um Trost für diejenigen, deren Leben im Schatten des Todes steht. Trauer und Trost stehen eng beieinander und bedürfen viel Zeit, die man sich als Trauernder und Getrösteter nehmen muss.

Christoph Hagemann ließ neben einem gut austarierten Chor ein Orchester in großer Besetzung mit Tutti-Verstärkung durch die Orgel auftreten. Er überraschte verschiedentlich. Zum einen präsentierte er eine Kantorei, die diesem großen Chor-lastigen Werk durchaus gewachsen war. Zum anderen durch seine Tempi, insbesondere bei den ersten drei Teilen. Er schaffte es, das gesamte Requiem tempomäßig von üblicherweise ein und eine viertel Stunde auf eine Stunde zu reduzieren. Aus „Ziemlich langsam und mit Ausdruck“, wie Brahms als Anweisung im Teil 1 (Seligpreisung) vorgibt, machte Hagemann „ziemlich schnell“, was der Andacht nicht unbedingt diente. Allerdings – Brahms sträubte sich zeitlebens, eine verbindliche Metronom-Zahl anzugeben und ließ den Interpreten jegliche Freiheit. Aber das Tempo verschleierte so viele Details in der Musik, vor allem auch im Teil 2.

Die Rahmenteile „Denn alles Fleisch“ aus dem Petrusbrief im Teil 2 sind üblicherweise eher langsamer und dadurch wirkungsvoller gehalten (Brahms schreibt „Langsam, marschmäßig“) als der Mittelteil „So seid nun geduldig“, um dann im Triumph in das „Aber des Herren Wort bleibet in Ewigkeit“ und der anschließenden Fuge zu münden. Die Bläser, insbesondere die teilweise tragende Rolle der Blechbläser und auch der Pauke gingen dabei etwas unter. Schöne Solistenstimmen ergänzten das Ensemble.

Miriam Alexandra brilliert

Bei Christopher Jung klang jedes Wort in der Diktion eines Verkünders aus dem Psalm 38 wie eine Predigt. Einen Höhepunkt stellte unbedingt die Sopranistin Miriam Alexandra mit „Ihr habt nun Traurigkeit“ dar, die durch ihre schlanke, filigrane Tonführung engelsgleich vor allem in den Höhen brillierte. Es war berührend, wie sie die mütterliche Tröstung mit ihrem Gesang beschrieb. Dazu ein Satz aus einem Brief von Johannes Brahms: „Es ist so herrlich, bei den Eltern zu sein. Die Mutter möchte ich immer mitnehmen können“.

Der letzte Teil erscheint als Epilog und lässt Text und Musik dieses Human Requiem in einem transparenten Licht erscheinen: getröstet und geborgen.