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Seltene Schönheit in zarten Fingern

Von Andreas Behling 03.02.2006, 17:32

Berlin/Oranienbaum/MZ. - Doch die zwei jungen Frauen, in deren Werkstatt inzwischen einige Segmente des kostbaren Wandschmucks liegen, sind keineswegs geschockt. "Die monumentale Flächenwirkung in diesem einmaligen Raum wiederherzustellen, das schaffen wir auf jeden Fall", sagt Anke Weidner, die wie ihre Kollegin Ines Zimmermann auf die Textil- und Lederrestaurierung spezialisiert ist. Beide sind Mitglieder eines Experten-Teams, das sich seit Anfang 2006 im Auftrag der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz um den Erhalt der Tapeten-Ausstattung des Teesaals im Oranienbaumer Fürstendomizil bemüht, das die oranische Prinzessin Henriette Catharina ab 1683 erbauen ließ.

Minimale Eingriffe

Neben den im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg tätigen Fachfrauen für das Leder gehören die Diplom-Restauratoren Anke Scharrahs und Bernd Dombrowski zu jenen Menschen, die sich bis zum Jahresende der Aufgabe widmen, mit minimalen Eingriffen den größten konservatorischen Erfolg zu erzielen.

Kümmert sich Frau Scharrahs im sächsischen Coswig um die kunstvoll bemalte Oberfläche der insgesamt zehn erhalten gebliebenen Tapetenbahnen, von denen jede zwei mal vier Meter misst und aus zwölf vernähten Elementen besteht, sorgt sich Dombrowski in Dessau um die sachgerechte Montierung. Die soll Ende 2006 direkt im Saal erfolgen. Beabsichtigt ist eine neue, schonende Hängung auf Rahmen, in die Klimapuffer eingearbeitet sind.

Bis es so weit ist, gehen die Arbeiten aller Beteiligten parallel vonstatten. Ein ausgeklügelter Logistikplan sorgt zunächst für einen regelmäßigen Austausch der Objekte zwischen Berlin und Coswig. "In Abständen von etwa zwei Monaten sind Transporte vorgesehen", erklärt Anke Weidner, die die Form dieser Zusammenarbeit als eben so spannend wie einmalig bezeichnend. Und anders wäre dieses Großprojekt mit seinem eng kalkulierten Zeitplan wohl auch gar nicht zu bewältigen.

Komplett auf sich allein gestellt sind die beiden Restauratorinnen in der Hauptstadt freilich nicht. "Auf Abruf stehen uns freie Mitarbeiter zur Verfügung, die geschult sind, behutsam mit dem über 300 Jahre alten Naturmaterial umzugehen."

Im Falle der um 1700 in Holland hergestellten Tapeten handelt es sich Frau Weidner zufolge um Kalbslederhäute, die auf das gewünschte Format zurechtgeschnitten wurden. Danach erhielten die Stücke eine hauchdünne Schicht aus Blattsilber, die wiederum mit einem zähflüssigen goldgelben Lack überzogen wurde. "Dies rief bereits eine Pigmentierung und einen strahlenden Glanz hervor", merkt Anke Weidner an. Im nächsten Arbeitsschritt nutzten die Produzenten der Ledertapeten den Umstand aus, dass das Material in hohem Maße auf Feuchtigkeit reagiert. Im gründlich durchnässten und heißen Zustand erhielten die versilberten Segmente mit aufgepressten Holzmodeln eine Prägung. An den Prozess des Trocknens schloss sich dann die künstlerische "Behandlung" an. Ein Delphin-Brunnen zum Beispiel, just an jenen im Oranienbaumer Gartenparterre erinnernd, kehrt als Motiv immer wieder.

Gerade die Feuchteempfindlichkeit der betagten Tapeten gebietet freilich in der geräumigen Werkstatt der Berliner Restauratorinnen besonders trockene Reinigungs- und Behandlungsmethoden. "Feuchtigkeit hat die Reliefs ins Leder gedrückt, sie bringt sie aber auch wieder heraus", gibt Anke Weidner zu bedenken. "Rein mechanisch" werde demzufolge dem Schmutz, den Überbleibseln einer Jutebeklebung und Kleisterresten auf der rückwärtigen Seiten der Lederstücke zu Leibe gerückt.

Schwämme aus Latex, die nicht krümeln, Pinsel und Handstaubsauger stellen die bevorzugten Arbeitsmittel dar. Erspart werden soll den auf trockenes Klima angewiesenen historischen Tapeten eine strapaziöse Behandlung mit Wasser. Auch laufen die aktuellen Erkenntnisse der am Projekt beteiligten Leder- und Gemälderestauratoren, Bauforscher und Naturwissenschaftler darauf hinaus, trotz der Säureschädigung durch schwefelhaltige Luftbestandteile auf eine Neutralisierung mittels Ammoniak-Begasung zu verzichten. Zumal diese Methode ein Herausspülen der schädigenden Salzkristalle nach sich gezogen hätte und - wegen des dann unumgänglichen Einsatzes eines Niederdrucktisches, der wie ein Staubsauger funktioniert und dem großflächigen Entzug von Feuchtigkeit dient - mit einem Einlaufen der Lederbahnen verbunden gewesen wäre.

Glätten und schrumpfen

Deformationen und Wellen geglättet, Tapeten geschrumpft - die Gefahr, zu radikal die Schönheit der seltenen Tapeten erhalten zu wollen, ist inzwischen gebannt. Gleichwohl ist der Zustand des auf mehreren Tischen ausgebreiteten Leders bereits innerhalb einer einzigen Bahn augenscheinlich von sehr unterschiedlicher Qualität. Wo das von Natur aus narbige Trägermaterial mit dem Metall einer Türklinke in Berührung kam, breitete sich so genannter Eisenfraß aus. Die betroffenen, dunkel gefärbten Stellen würden bei stärkerer Beanspruchung wie Löschpapier zerreißen. Im Gegensatz dazu ist die Farbe erkennbar frischer, wo einst Kerzenhalter mit Spiegeln montiert waren und wie ein Schutzschild fungierten.

Ines Zimmermann und Anke Weidner, die sich seit dem Studium in Köln kennen, sehen in ihrer seit zwei Jahren bestehenden Werkstatt neben dem Reinigen und Abpolstern in der klebetechnischen Sicherung einen wesentlichen Arbeitsschritt. Unauffälligkeit ist hier oberstes Gebot. Die Übergänge zwischen altem Leder und Ersatzmaterial sollen fließend, nahezu unsichtbar sein. Zum so genannten Ausschärfen jener Stellen werden die Spezialmesser eigenhändig geschliffen. Ferner analysieren die beiden Frauen sehr gründlich, welche Nähfäden überhaupt verwendet wurden. Auf vier verschiedene Arten sind sie bislang gestoßen. Eine Entdeckung, die sie schon mal zu einer Nähprobe inspirierte. Der Versuch mit einem gut gezwirnten und gewachsten Leinenfaden erwies sich als nicht unkompliziert.

Dummys im Einsatz

Weil dies zu erwarten war, kam bei dem Test selbstverständlich kein Fitzel der originalen Goldleder-Tapete mit Nadel und Faden in Berührung. Anke Weidner schmunzelt: "Wir haben zur Sicherheit auf Dummys zurückgegriffen."