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Ermittlungen  Sekundarschule: Durfte 15-Jährige in der Schule nicht auf Toilette gehen?

Von Michael Hübner 15.12.2016, 06:00

Wittenberg - Die Wittenberger Kriminalpolizei ermittelt seit Montag um 9.59 Uhr im ungewöhnlichsten Fall 2016. Eine 15-Jährige durfte nach eigenen Angaben während des Unterrichts nicht auf die Toilette. Die Mutter stellt Strafanzeige gegen die Schulleitung und die betreffende Lehrkraft wegen Körperverletzung. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagt Cornelia Dieke. Die Reviersprecherin hält die Ergebnisse für „total offen“. Es müssen nun alle Seiten angehört werden.

Juristin warnt: Vorwürfe sind keine Kleinigkeit!

Schulleiterin Ines Petermann dementiert im Gespräch mit der MZ ein striktes Klo-Verbot während des Unterrichts. Falls die Vorwürfe, die sich gegen die Wittenberger Sekundarschule Friedrichstadt richten, stimmen, ist das nach Auffassung von Anwälten aber alles andere als eine Kleinigkeit. „Ich kenne einige Fälle, wo sich Kinder, die nicht auf Toilette durften, in die Hose gemacht haben und danach lange Zeit traumatisiert waren“, so Nicole Koch, die „vor psychischen Verletzungsfolgen“ warnt.

Aber auch körperliche Schäden - eine Blasenvergrößerung zum Beispiel - seien nicht auszuschließen. Die Juristin ist sich sicher: Toilettengänge zu verbieten ist jedenfalls immer und ohne Ausnahme rechtswidrig! Die Expertin schreibt in ihrem im Internet veröffentlichen Rechtstipp von einer „massiven Menschenrechtsverletzung, von Folter und unangemessener Behandlung“.

Ein Ausschluss von Schülern am Unterricht ist offensichtlich keine Seltenheit. In Gräfenhainichen sorgte erst in diesem Jahr ein Fall in einer Grundschule für große Schlagzeilen. Ein Steppke wurde in der Heidestadt nach Ereignissen in der Hofpause sofort vom Unterricht suspendiert - auch ohne Klassenkonferenz. Dabei wurde der Vorfall sehr unterschiedlich bewertet. Die Wittenberger Polizei sprach davon, dass der Junge die Frau unabsichtlich umgerannt habe. Das Landesschulamt dagegen war sich sicher, dass es sich um einen Angriff des Schülers auf die Lehrerin gehandelt habe und hielt damit die Entscheidung zur Suspendierung für gerechtfertigt. Das Ergebnis der Pausen-Aktivitäten ist allerdings tatsächlich erschreckend: Die Lehrerin musste ärztlich versorgt werden und konnte an diesem „Tat-Tag“ nicht mehr unterrichten.  

„Seitdem erhalte ich regelmäßige Hass-Mails von Lehrern“, so die Anwältin im Gespräch mit der MZ. Sie sieht bei einem verbotenen Toilettengang gleich fünf Straftatbestände erfüllt: Körperverletzung im Amt, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, Nötigung und Beleidigung. Darüber hinaus handeln laut Koch die Lehrer vorsätzlich, „weil sie zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sich der Schüler in die Hosen macht“.

Die Anwältin kennt auch die Gegenargumente. So werde immer wieder darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestehe, dass die Kinder gar nicht mussten, sondern die Gelegenheit nur dazu nutzen wollten, um sich im WC zum Schwatzen zu treffen oder um zu telefonieren. „Eine Lehrerin hatte Angst, dass die Schüler auf der Toilette Opfer von Kinderschändern würden“, so Koch, die betont, dass die Sicherheit der Kinder auch während des Unterrichts jederzeit zu gewährleisten sei. Und um Missbrauch auszuschließen, könne auch eine Person des Vertrauens zur Toilette mitgeschickt werden.

Koch, Spezialistin für Schul- und Zivilrecht, hält die Entscheidung der Mutter in Wittenberg für richtig. Eine Strafanzeige koste schließlich nichts. „Und der Staatsanwalt ist verpflichtet, den Dienstherren über die Vorwürfe zu informieren“ so Koch, so müsse die Lehrkraft - sollten sich die Vorwürfe bestätigen - neben dem Straf- auch noch mit einem Disziplinarverfahren rechnen. „Und das kann mit einem Tadel, mit der Zurückstufung der Gehaltsgruppe oder sogar mit der fristlosen Kündigung enden“, so Koch.

Mädchen wurde von Schule suspendiert

Die Schülerin dagegen - der Toilettenvorfall ereignete sich am vergangenen Freitag - ist bereits seit Montag für eine Woche - also bis zu den Ferien - vom Unterricht suspendiert. Die Entscheidung zum Ausschluss fällt aber schon am vergangenen Donnerstag bei einer Klassenkonferenz - also einen Tag vor dem so dringenden Bedürfnis. Alles nur Zufall? Petermann wollte sich dazu „im Interesse des Schutzes des Kindes“ nicht weiter äußern.

Gründe für die drakonische Strafe sind nach MZ-Informationen „verbal aggressive Attacken“ des Mädchens, das andere „bedroht“ haben soll. „Die Vorwürfe sind nicht haltbar und nicht bewiesen“, so die Mutter zur MZ. Das sehen Verantwortliche im Landesschulamt ganz anders und verweisen eben auf das Ergebnis der Klassenkonferenz. Die Liste der mutmaßlichen Verstöße sei lang. Sie reichen „vom bewussten Stören des Unterrichts über Zuspätkommen bis zum Benutzen unterlaubter Hilfsmittel“.

Die 15-Jährige verteidigt sich selbst - erfolglos. Sie erhält Arbeitsaufgaben, die sie am Freitag im Sekretariat vorlegen muss. Das Angebot eines Schultausches wird nicht angenommen.

Gegen das „Urteil“ bestand die Chance, Rechtsmittel einzulegen. Einen Widerspruch zu formulieren oder das Beantragen einer einstweiligen Verfügung sind zumindest theoretisch möglich. Aber es ist ein Kampf gegen die Zeit. Schließlich arbeiten Behörden freitags bekanntlich wirklich nicht extrem lang.

Die alleinerziehende Mutter entscheidet sich aber für den Gang in das Polizeirevier. Die Beamten müssen nur eine Frage klären: Ist dem Mädchen der Gang zum WC verwehrt worden oder nicht? Danach hat der Staatsanwalt das Wort. (mz)