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Problem im Landkreis Wittenberg Problem im Landkreis Wittenberg: Bauland für junge Familien gesucht

Von Irina Steinmann 16.11.2018, 18:49
Hier würden sie gern bauen: Alexander Winter aus Straach und Familie zieht es nach Thießen. Baureif ist das Grundstück allerdings noch nicht.
Hier würden sie gern bauen: Alexander Winter aus Straach und Familie zieht es nach Thießen. Baureif ist das Grundstück allerdings noch nicht. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Inzwischen sind sie schon zu fünft. Neun Monate ist das jüngste Kind der Winters, nach einem neuen Zuhause sucht die Familie freilich länger. Seit drei Jahren, berichtet Tanja Winter, die Mutter, prüften sie Grundstück über Grundstück. Bisher hat sich alles zerschlagen. Mal lag die avisierte Fläche im Außenbereich, mal war’s zwar Bauland, aber nicht verfügbar, und mal soll’s erst welches werden.

Irgendwann. Tanja Winter, die in Straach eine Physio-Praxis betreibt, fühlt sich hingehalten von den Behörden. Das alte Haus, in dem die Familie zur Zeit wohnt, es gehörte mal ihrer Großmutter, sei „komplett verbaut“, die Lage wegen der Straße sehr laut und das Grundstück mit 400 Quadratmetern sehr klein.

In Straach aber möchten sie bleiben, sagt Winter. „Wir kommen vom Dorf, unsere Bekannten sind hier“ und für die Kinder sei es sowieso schöner, auf dem Land aufzuwachsen als in der Stadt. Dass sie lieber neu bauen wollen als ihr - oder ein anderes - altes Gebäude zu neuem Leben zu erwecken, kommt hinzu. Winter: „Wir wollen kein altes Haus kaufen oder direkt in die Stadt.“

Junge sollen bleiben

Leute wie die Winters aus Straach sind es, die die Wittenberger Planungen für die Entwicklung der Kernstadt und ihrer Ortsteile etwas alt aussehen lassen. „Wir müssen in die Pötte kommen“, sagt etwa Straachs Oberhaupt Klaus Eckert (Freie Wähler), „wir brauchen ausgewiesenes Bauland.“ Laut Eckert ist Straach von dem diagnostizierten Missstand besonders betroffen.

600 bis maximal 700 Bauplätze werden den Berechnungen der Verwaltung zufolge bis 2035 in Wittenberg benötigt. Im Flächennutzungsplan ausgewiesen werden sollen laut Stadt sogar 830.

Der Wunsch der Ortschefs ist so oder so klar: „Ich würde gerne sehen, dass die jungen Bürger in Straach bleiben“, sagt Eckert. Bürger wie die Winters. Bürger wie jene, die stattdessen umgezogen sind in den Nachbarort. Dabei habe Straach doch „alles“, einen Kindergarten und ein „ordentliches Vereinsleben“, Arzt und Zahnarzt, eine stündliche Busverbindung, mit der sich die neun Kilometer in die Stadt auch umweltfreundlich bewältigen ließen. Alles außer Bauland?

Abgelehnt

Gründe für die Misere: Ein Privatmann habe „vier Grundstücke“ am Schulweg angeboten, berichtet Klaus Eckert. Aufnahme in den Entwurf des Wittenberger Flächennutzungsplans (FNP), der derzeit erarbeitet wird, fand das Terrain trotz Intervention des Straacher Ortschaftsrates bisher nicht. Andererseits gebe es Eigentümer, die baureife Grundstücke hätten, diese aber nicht verkaufen wollten. Was ihr Recht ist. Baulandsuchende wie die Winters aber geraten so zwischen Baum und Borke.

Auch Eckerts früherer Amtskollege und heutige Stadtrat Gerd Deeken (SPD) aus Abtsdorf zeigt sich unzufrieden. Sein Vorstoß, zwölf Grundstücke im Bibergrund im neuen FNP als Bauland auszuweisen, ist im Abwägungsprozess abgelehnt worden. Dabei, berichtet Deeken, sei das sogar schon einmal Bauland gewesen, 1993, da war Abtsdorf noch eigenständig.

Als die ursprünglich interessierte Firma sich zurückzog, habe die Gemeinde die Flächen erworben. Dank der „guten Infrastruktur“ - und Wittenberg-Nähe - gebe es heute in Abtsdorf Zuzüge und Anfragen, auch von Rückkehrern, so Deeken. Diese kommen, so betont er, auch aus der Kernstadt.

Für Tanja Winter aus Straach ist die Kernstadt, wie sie sagt, nie in Frage gekommen, ebenso wenig Angebote „über Elbe“, wie der Volksmund die südlichen Wittenberger Ortschaften Pratau und Seegrehna bezeichnet. Auf ihrer Suche nach einer neuen Heimat für die Familie setzen die Winters ihre Hoffnung gegenwärtig auf Thießen. Das ist landschaftlich nicht allzu weit weg von ihrem bisherigen Wohnort.

Und über kurz oder lang könnte sich dort tatsächlich etwas bewegen: Am Ortsausgang westlich der Straße nach Mochau (wozu Thießen gehört) zeichnet sich ab, dass dort Neubauten entstehen könnten. Anders als eine ähnliche Idee für den Ortskern, die abgelehnt wurde, hat dieser Vorschlag im Abwägungsprozess zum zweiten Vorentwurf des FNP „Berücksichtigung“ gefunden.

Der Flächennutzungsplan soll als Entwurf wie berichtet im ersten Halbjahr 2019 vorliegen. Wittenbergs Bürgermeister und Stadt-entwicklungschef Jochen Kirchner antwortete auf MZ-Anfrage, wie lange es bis zum tatsächlichen Häuslebau dauere: gegebenenfalls bis 2020, denn auf dem FNP basierende Bebauungspläne könnten auch im Parallelverfahren vorangetrieben werden. Entstehen könnten auf der Fläche in Thießen maximal acht Wohneinheiten, so Jana Hildebrand vom Fachbereich Stadtentwicklung.

Den Winters, deren große Jungs sich ein Zimmer teilen müssen, dauert das alles zu lange. Sie haben jetzt etwas Geld in die Hand genommen und beim Kreis schon mal eine offizielle Bauvoranfrage gestellt für das noch nicht existente Bauland in Thießen. Vielleicht wird ja doch alles gut?

Kirchner jedenfalls rät allen Bauwilligen, Kontakt mit der Verwaltung aufzunehmen, wenn sie nicht vorankommen; man wolle Lösungen finden. „Es gibt für jeden Geschmack Flächen“, so Jana Hildebrand. Rein rechnerisch ist auch genug für alle da. Ausgehend von bisher 45 bis 55 Hausbauten pro Jahr gehe Wittenberg von einem Bedarf zwischen 600 und 700 Bauplätzen bis 2035 aus. Im künftigen Flächennutzungsplan würden sogar 830 ausgewiesen.

Das Problem für die, die jetzt suchen: Die Bauplätze sind eben noch nicht bebaubar. Den Bestand an derzeit verfügbaren Baustandorten in Wittenberg bezifferte Kirchner auf etwa 50 Flächen in Bebauungsplangebieten, hinzu kämen diverse Lücken. Nicht jeder aber könne die gewünschte Fläche bebauen.

Zersiedelung vermeiden

Vom erklärten Grundsatz, dass Stadt Stadt und Dorf Dorf bleiben soll, rückt Wittenberg nicht ab. Die Stadt sieht sich in Übereinstimmung mit der Landesplanung, dass Zersiedelung zu vermeiden ist und Wege zur Arbeit kurz sein sollen.

Zu beachten sei auch die bauliche Identität der jeweiligen Orte. Vielerorts stehe ein Generationswechsel an, so Hildebrand. Leere, verfallende Häuser in den Ortskernen könne niemand wollen. Freilich kann man auch niemanden zwingen, sich einen Altbau ans Bein zu binden. Familie Winter jedenfalls will das nicht. (mz)