Riesenchance für den Wirtschaftsstandort und SKW Wasserstoff aus Sachsen-Anhalt: Werden in 1,6 Milliarden Euro in Wittenberg investiert?
Unternehmen wollen sehr viel Geld in Wittenberg investieren, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Was die Hintergründe sind.

Wittenberg/MZ. - Wenn das Projekt tatsächlich realisiert wird, dann ist das eine Riesenchance für den Wirtschaftsstandort Wittenberg.
Wie berichtet planen die Unternehmen VNG, ein Gasimporteur, Großhändler und Betreiber kritischer Gasinfrastruktur mit Hauptsitz in Leipzig, deren Tochter Handel & Vertrieb GmbH und HyCC, eine niederländische Firma mit hoher Expertise in der Elektrolyse, die Errichtung einer hochmodernen Anlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff aus erneuerbarer Energie in Wittenberg.
Investiert werden sollen rund 1,6 Milliarden Euro, hieß es bei der Vorstellung der Pläne in der vergangenen Woche: „Eine grobe Schätzung, es ist noch viel Unsicherheit im System“, präzisiert VNG-Chef Ulf Heitmüller. Eine endgültige Entscheidung wurde noch nicht getroffen, obgleich das Projekt bereits seit 2022 in Arbeit ist. Die „finale Investitionsentscheidung“ soll laut Heitmüller erst 2026/27 fallen. 2029/30 könnte der Elektrolyseur, der auf dem Gelände des ehemaligen Wittenberger Wasserwerks entstehen soll, in Betrieb gehen.
Zurzeit ist das Projekt nicht wirtschaftlich
Es gibt also eine Reihe von Fragezeichen. Dass das Vorhaben zurzeit nicht wirtschaftlich wäre, daraus machen die Beteiligten keinen Hehl. Heitmüller: „Für eine erfolgreiche Umsetzung brauchen wir wirtschaftliche Rahmenbedingungen und pragmatische Regeln entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette“, die die Produktion zu wettbewerbsfähigen Preisen ermöglichen. Das sagt auch Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sehr klar: „Würden wir heute starten, würden wir in die Pleite marschieren.“ Zurzeit sei ein solches Projekt nicht umsetzbar: „Wir brauchen ein realistisches Szenario. Wir müssen Klartext reden.“

Und doch: Enthusiasmus ist spürbar bei der groß angelegten Präsentation des „Green-Root“ genannten Zukunftsvorhabens im Auditorium maximum der Leucorea. Haseloff etwa sagt: „Ein wichtiges Projekt in Zeiten, wo die Energiewende nicht wie geplant stattfinden kann.“ Weil Erdgas durch den Ukrainekrieg als Brückentechnologie nicht ausreichend verfügbar sei, müsse der Einstieg in die Wasserstofftechnologie beschleunigt werden: „Aber das hat Grenzen und ist teuer.“ Die nötigen Ressourcen stünden an anderer Stelle nicht zur Verfügung: „Wir müssen ehrlich und rational vorgehen, damit das mitgetragen wird.“ So gesehen sei Wasserstofftechnologie eine hochpolitische Herausforderung. In dem Zusammenhang betont der Regierungschef, dass die Chemieindustrie zurzeit unter großem Druck stehe, die Grundstoffchemie gefährdet sei. Haseloff: „Wir riskieren die Zukunft des Industriestandortes Deutschland.“
Das bestätigt SKW-Geschäftsführer Carsten Franzke, der Düngemittelhersteller ist als großer Erdgasverbraucher potenziell ein großer Wasserstoffkunde. „Das Dach brennt in der Branche, wir können nicht ewig auf eine neue Regierung warten. Wir müssen jetzt die schwere Zeit überstehen, haben viel vor, aber wir brauchen auch Hilfe.“ Wenn das gelingt und wenn der Elektrolyseur wirklich gebaut wird, dann wäre das ein Schritt in eine neue Ära und sei geeignet, den Standort voranzutreiben. Es bewiese: „Wir kriegen in der Region Lieferketten hin. Das macht mich optimistisch.“
Generell wird der auserkorene Standort der künftigen Wasserstoff-Anlage als optimal bezeichnet. „Das ehemalige Wasserwerksgelände lag lange brach und ist für eine substanzielle Ansiedlung aufgehoben worden“, erläutert Stadtwerke-Geschäftsführer Andreas Reinhardt. Das kommunale Unternehmen verpachtet die Fläche und bietet nötige Ver- und Entsorgungsstrukturen. „Wir sind ein starker Partner“, versichert Reinhardt. Einer im Übrigen, der selber Interesse an grünem Wasserstoff hat. Dessen Nutzung werde geprüft für die eigenen Wärmeversorgungsprojekte. Reinhardt spricht von nachhaltigen Synergieeffekten für die Region.
Zukunft für den Standort Wittenberg
Als „Symbol erfolgreicher Ansiedlungspolitik“ bezeichnet Oberbürgermeister Torsten Zugehör das Projekt: „Wittenberg ist ein attraktiver Standort. Wir können mehr als Luther, Melanchthon und Cranach.“ Investoren erwarteten, dass, wenn sie eine Fläche finden, schnell losgelegt werden könne. Dafür würden zügig die Voraussetzungen geschaffen. Wichtig bei all dem sei, die Bürger einzubinden, es brauche transparente und offene Kommunikation. Er sagt auch: „Ich bin unglaublich stolz, dass unsere Stadt dieses Vertrauen genießt.“ Die Investition sei ein essenzieller Entwicklungsschritt für die CO2-neutrale Ammoniak- und Harnstoff-Herstellung und geeignet, den Standort Wittenberg auf lange Sicht zu sichern und zukunftsfähig zu machen.
Der Landkreis versichert ebenfalls, das Wasserstoff-Vorhaben „auf allen Ebenen“ zu unterstützen, es habe höchste Priorität. Die Region, so Landrat Christian Tylsch, sei einmal mehr Vorreiter in Sachen Innovation und Nachhaltigkeit. Schon mit den Kraftwerken Zschornewitz und Vockerode sei einst Geschichte geschrieben worden. „Heute legen wir den Grundstein für die Energieversorgung von morgen.“ Neben der Nutzung regenerativer Energien solle der grüne Wasserstoff Abnehmer wie SKW Piesteritz versorgen und über das Wasserstoffkernnetz ins mitteldeutsche Chemiedreieck transportiert werden. Das stärke die regionale Wirtschaft. Tylsch: „Für den Landkreis Wittenberg bedeutet dies nicht nur einen Zugewinn an Klimaschutz und technologischer Führungsrolle, sondern auch eine Stärkung als wettbewerbsfähiger Industriestandort.“