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Papst-Chor gastiert in Luther's Stadtkirche Papst-Chor gastiert in Luther's Stadtkirche: Vom Vatikan nach Wittenberg

Von Karl Friedrich Ulrichs 20.05.2016, 09:50
Der persönliche Chor des Papstes hat am Mittwochabend in der Wittenberger Stadtkirche und damit in der Predigtkirche Martin Luthers gesungen.
Der persönliche Chor des Papstes hat am Mittwochabend in der Wittenberger Stadtkirche und damit in der Predigtkirche Martin Luthers gesungen. Thomas Klitzsch

Wittenberg - In riesigen Lettern auf Goldgrund stehen Jesu Worte an seinen wichtigsten Jünger in der Kuppel des Petersdoms in Rom: Du bist Petrus, auf diesen Stein will ich meine Kirche bauen. Diese Zusage erklingt in Giovanni Pierluigi da Palestrinas raffiniert-prachtvollem Stimmengewirr beim Einzug des Papstes in den Petersdom.

Vom Petrus- zum Luthergrab

Am Mittwoch war diese Komposition am Ende eines Konzerts in der Stadtkirche Wittenberg zu hören, das der päpstliche Privatchor, die Cappella Musicale Pontificia Sistina, mit ausdrücklich ökumenischem Zweck gab. Spätestens mit dem langen, leisen, nahezu beschwörend gestalteten Schlusston mag sich mancher Zuhörer gefragt haben, auf wen dieses Wort an diesem Ort wohl zu beziehen sei.

Auf alle vielleicht, die ihren Glauben bekennen, die im Glauben ihr Leben führen? Unter die ist der freundliche und erfrischende ältere Herr in Rom gewiss zu zählen, nicht minder der Wittenberger Reformator. An dessen Grab hatte der Chor dem Vernehmen nach mittags bei einer Führung in der Schlosskirche das Palestrina-Stück gesungen - als Gruß vom Petrus- zum Luther-Grab. Man muss gar nicht die Kirche und ihre Einheit wichtig finden, um von dieser Geste guten Willens bewegt zu sein.

Das Konzert bot Chormusik auf höchstem Niveau. Das Publikum in der Stadtkirche, das nach Anzahl und Vorfreude den Eindruck machte, Weihnachten und Ostern fielen zusammen auf diesen Tag, hörte gebannt die zehn dargebotenen Vertonungen kurzer Psalmzitate, sämtlich aus dem 16. Jahrhundert.

Der einleitende gregorianische Gesang schwebte mit den ganz natürlich in die Höhe geführten Stimmen in der Stadtkirche, verwandelte sie von einer Bürger- in eine Klosterkirche. Die zu den 20 Männern dazukommenden 30 Jungen fügten dem bemerkenswert homogenen Chorklang ätherische Qualität hinzu, aber auch ansprechende Farbigkeit gerade in den Höhen.

Herrlich, wie musikalisch-formal transparent und doch emotional das in drei Chören geteilte „Miserere“ von Gregorio Allegri dargeboten wurde, wirklich eines der Mysterien der Musikgeschichte. An Solisten war besonders zu hören, dass die Cappella Sistina ganz von der Deklamation von Texten her singt.

Diese Textbindung vermittelte sich dem Publikum auch ohne Lateinkenntnisse, etwa beim „Sicut cervus“, Palestrinas Vertonung von Psalm 42: Im „desiderat ad fontes“ wurde das Dürsten des stolzen Hirschen nach Wasser musikalisch erlebt und erlebbar gemacht und weckte eigene elementare Sehnsüchte. Ein religiöses Ereignis also - wie überhaupt alle Kompositionen des Abends ganz darauf angelegt sind, Menschen zu berühren, ihre religiösen Gefühle herauszukitzeln.

Der Chor wusste die unendlichen, wie Silberfäden geführten Stimmen in großen gesanglichen Bögen zu spannen, um sie am Ende in einen wiederum unendlichen Akkord zusammenzuführen, zumeist geheimnisvoll leise, behutsam aufblühend, dann das Verklingen so lange durch chorisches Atmen herauszögernd, als verweigere sich der hier ausgesprochene Glaube einem Ende.

Massimo Palombella dirigierte die hochkonzentrierten Bambini und die erwachsenen Sänger mit gleicher Verve, forderte bei aller kirchenmusikalischen Strenge dynamische Variationen und stimmliche Präsenz. Nicht aus einer Partitur dirigierend, sondern mit einem Tablet-Computer auf dem Notenpult leistete der Maestro künstlerische Filigranarbeit bis in die Fingerspitzen.

Hoffnung auf Einheit

Erläuterte Kantorin Heike Mross-Lamberti detailreich die musikalischen Zusammenhänge des Kirchenjahrs, nannte Superintendent Christian Beuchel die gehörte Musik gesungenes „Evangelium, das unser Herz anrührt“. Im Gotteslob, das die Kirchen besonders auch während des Reformationsjubiläums miteinander teilen, werde sich Ökumene ereignen. In seinem Grußwort würdigte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) das Konzert als historisches Ereignis.

Ökumenisch bemerkenswert war schließlich auch Palestrinas „Agnus Dei“ als Zugabe: Diese Christus-Anrufung beim Abendmahl mochte man in der Interpretation des Vatikanchores wie eine leise Hoffnung auf die im Sakrament verheißene Einheit der Glaubenden und der Kirchen hören. (mz)