Mini-Häuser in Wittenberg Mini-Häuser in Wittenberg: Berliner Architekt baut Wohnung auf 62 Zentimeter

Wittenberg - Nehmen wir den Berliner Hocker: Hochkant aufgestellt, eignet er sich prima am Tisch, eine Zwischenwand verhindert, dass sich die Füße verheddern. Quer gibt er - je nach Ausrichtung - einen Kindersitz ab oder ein Bänkchen für die Großen. Man kann ihn als Bücherregal nutzen (gestapelt) oder Schuhe darin verstauen.
Die Rede ist hier nicht vom neuen Allrounder eines schwedischen Möbelhauses. Vielmehr handelt es sich um einen Klassiker aus der „Hartz IV Möbelserie“ von Van Bo Le-Mentzel. Er selbst nennt seine Kreation auch „Einstiegsdroge“.
Selbst bauen statt kaufen
Am 9. März wird in der Cranach-Stiftung Wittenberg um 19 Uhr eine Ausstellung eröffnet, die u. a. dieses Projekt des Berliner Architekten Van Bo Le-Mentzel würdigt. Das heißt auch, man widmet sich einem „zeitgenössischen Phänomen“, wie die Kunsthistorikerin der Stiftung Marlies Schmidt am Mittwoch bei einer Vorbesichtigung der Schau sagt.
Dabei gehe es nicht nur um eine seit acht Jahren andauernde Do-it-yourself-Bewegung, sondern um die „Demokratisierung des Designs“. Letzteres wird natürlich in der Preisgestaltung deutlich: Zwar ist der Berliner Hocker inspiriert vom Ulmer-Hocker des Bauhäuslers Max Bill. Doch während ein solches Exemplar „200 Euro“ kostet, ist der Berliner für zehn zu haben. Die ganze Formel geht dann so: „Zehn Euro, zehn Schrauben, zehn Minuten“ - zack, fertig ist der Hocker.
Der erwähnte Demokratisierungsprozess, dem ein zutiefst sozialer Gedanke bei Van Bo Le-Menzel zugrunde liegt, was auch bei den „Tiny Houses“ genannten Mini-Häusern deutlich wird, dieser Prozess hat seine Wurzeln noch in etwas anderem: In der Art, wie dieser 1977 in Laos geborene Mann, der mit seinen Eltern kurze Zeit später nach Deutschland kam, vorgeht.
Die Ausstellung von Van Bo Le-Mentzel in der Cranach-Stiftung firmiert unter dem Titel „Hartz IV Möbel und 62 cm Home“. Zur Eröffnung am 9. März laden die Stiftung und der Verein Tinyhouse University um 19 Uhr ins Cranach-Haus Markt 4 ein. Im Anschluss gibt es die dritte PechaKucha Night Wittenberg. Zum Begleitprogramm der Schau gehören Workshops, in denen sich Interessierte ein Tiny House bauen können. Der erste findet vom 12. bis 23. März statt (Anmeldung und Infos: [email protected]). Unter Tel. 03491/69 81 95 kann in der Cranach-Herberge eine Übernachtung im „Tiny House 100“ gebucht werden. Pro Nacht fallen 100 Euro an (inkl. Frühstück). Die Hälfte der Einnahmen soll an einen gemeinnützigen Verein gehen.
Statt einer Werkstatt mit Hammer und Säge nutzt er für seine Entwicklungen nach eigenen Angaben vor allem die Tools von Photoshop. Bei ihm fliegen weniger Späne, dafür finden sich seine Entwürfe auch im Netz. Und wenn Menschen sie nutzen oder variieren, „entsteht Innovation“. Dann schwappt die virtuelle Welt in die reale und alles offenbar ohne Stress mit Copyright.
Ein Garten voller Häuschen
Solcherlei Vermischung versucht der Architekt auch in seiner Wittenberger Exposition zu veranschaulichen, indem er im Sonderausstellungsraum im Cranach-Haus Markt 4 die angedeuteten Fensterrahmen der „Hartz IV“-möblierten Butze wie Desktoprahmen aussehen lässt. „Wenn der Besucher rumgeht, wird er Teil des sozialen Netzwerks“.
Okay, sich das vorzustellen bedarf einiger Fantasie. Die brauchte es aber auch, als Kunsthistorikerin Schmidt ankündigte, das von Le-Mentzel entworfene „62 cm Home“ in einen schmalen Gang im Cranach-Haus hineinzubauen. Zu dritt haben sie es geschafft.
Teile seiner ungewöhnlichen Pressekonferenz hält der Architekt nun in diesem Schlauch ab. In der wahrscheinlich kleinsten Einraumwohnung, die die Welt gesehen hat, können Abenteurer sogar übernachten, sie müssen sich dafür jedoch mit Saskia Rehhahn oder Matthias Clemens von der Cranach-Herberge in Wittenberg in Verbindung setzen.
Dies gilt auch für Übernachtungen in den Tiny Houses, die inzwischen in den Garten des Cranach-Hofs in der Schlossstraße gebracht wurden. Nachdem man sich vorige Woche gegen eine Kran-Aktion entschieden hatte, bugsierte ein Helfer Le-Mentzels die Häuschen auf ihren Hängern über das Nachbargrundstück durch die Öffnung in einer Hecke.
Generell kann sich der Mann, der vor Jahren mit einigen Mitstreitern auch das Kollektiv Tinyhouse University initiierte, offenbar so einiges vorstellen, geht es um eine Nutzung dieser Mini-Häuser. Die Sprache kommt auch auf die, gerade in Großstädten für „weniger Privilegierte“ prekäre Situation am Wohnungsmarkt.
Reformerische Ideen
Nun mag die rechtliche Lage hinsichtlich des Aufstellens bzw. die Praktikabilität im Alltag für Außenstehende nicht ganz durchsichtig sein. Aber ähnlich wie bei den „Hartz IV Möbeln“, so hängt auch bei den Tiny Houses etwas dran, das Schmidt, mit „gesellschaftsreformerischen Ideen“ beschreibt. Und davon kann es - auch wenn hier manches ein wenig abenteuerlich klingen mag - ja eigentlich nicht genug geben.
Bleibt noch eine Frage: Wie und wovon lebt einer wie Van Bo Le-Mentzel selbst? Er sagt, er wohnt mit Frau und Kindern in einer Zweizimmerwohnung. Und sonst? Es gebe „viel Solidarität“. Leute schenken Geld für Projekte. „Die Menschen sind besser, als man denkt. Und das macht Mut.“ (mz)


