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Mangelnde Perspektiven Mangelnde Perspektiven: Jugendliche wollen nicht in Wittenberg bleiben

Von Jessica Hanack 21.09.2017, 08:00
Bürgermeister Jochen Kirchner, Said Faez Morady, Wolfram Wallraf, Leonie Hagen, Tom Gärtner und Hanna Mielke (v.l.) diskutieren im Stadthaus über Perspektiven in Wittenberg.
Bürgermeister Jochen Kirchner, Said Faez Morady, Wolfram Wallraf, Leonie Hagen, Tom Gärtner und Hanna Mielke (v.l.) diskutieren im Stadthaus über Perspektiven in Wittenberg. Hanack

Wittenberg - Geh ich oder bleib ich? Vor dieser Frage stehen junge Menschen nach ihrem Schulabschluss. Auch Jugendlichen aus Wittenberg wurde bei der Schülerbefragung 2016 die Frage gestellt, wo sie sich und ihre Jobperspektive sehen.

Die Antwort darauf bezeichnet Stadtplaner Wolfram Wallraf, der mit seinem Büro die Daten ausgewertet hat, als das Ergebnis, das bei der Befragung wohl „am meisten schockiert hat“: Von den befragten Gymnasiasten sieht kein einziger seine berufliche Perspektive in Wittenberg, von den Sekundarschülern sind es nur 12 Prozent.

181 Wittenberger Schüler wurden befragt

Insgesamt 181 Schüler der 8. bis 12. Klassen vom Luther-Melanchthon-Gymnasium, der Sekundarschule Rosa Luxemburg und Friedrichstadt haben im vergangenen Sommer Fragen zu ihrem Leben in Wittenberg, der Entwicklung der Stadt und ihrer persönlichen Zukunft beantwortet. „Die Jugendlichen sind durchaus kritischer als die Erwachsenen“, sagt Wallraf. Kritik an Wittenberg haben die Schüler während eines Stadtgesprächs mit Podiumsdiskussion tatsächlich reichlich geäußert. Gleichzeitig mussten sich aber auch die Jugendlichen Kritik aus den Reihen der Zuhörer gefallen lassen.

Im Zentrum der Diskussion standen vor allem drei Punkte: mangelnde Angebote, mangelnde Treffpunkte - und eben die mangelnden Perspektiven. Von den vier Jugendlichen, die auf der Bühne im Stadthaus Platz genommen haben, planen drei, Wittenberg nach ihrer Schulzeit - zumindest erstmal - zu verlassen.

Hanna Mielke etwa, die Germanistik studieren möchte. „Ich weiß nicht, ob dafür die Perspektiven in Wittenberg so weitreichend sind“, sagt sie. „Und ich weiß, dass es einigen ähnlich geht.“ Einzig ein junger Afghane, der seit zwei Jahren hier lebt, kann sich seine berufliche Zukunft in Wittenberg vorstellen.

Reformationssommer kam bei den Schülern sehr gut an

Von ihrer Stadt wünschen sich die Jugendlichen mehr Vielfalt, Konzerte und Multikulturalität. Der Reformationssommer mit den vielen Veranstaltungen ist da sehr gut angekommen. „Es wäre begrüßenswert, wenn es das weiter geben würde“, sagt Hanna Mielke. Hier setzen auch die Vorschläge der Schüler für die Zukunft der Stadt an. Wittenberg als musikalisches Zentrum oder Festivalort zu etablieren sind zwei der Ideen, die sie vor anwesenden Stadträten, Verwaltungsmitarbeitern und Bürgermeister Jochen Kirchner einbringen.

Diese Ideen sind zugleich Ansatzpunkte für Kritik von der Gegenseite. Denn Angebote, die gebe es schon jetzt, sagt Marco Glaß, Vorsitzender des Vereins Projektschmiede. Was fehle, sei die Resonanz darauf. Auch Stadtforscher Wallraf berichtet: „Alle sagen immer, es gibt nicht genug Angebote. Wenn es aber welche gibt, dann geht eine Clique hin und sonst keiner.“

Eine Lösung für das Dilemma zu finden, scheint nicht leicht zu sein. Der Informationsfluss hakt, die Werbung für Veranstaltungen komme, so die Jugendlichen, nicht immer an. Ein direkter Dialog, wie das Stadtgespräch, ist der richtige Ansatz, da sind sich alle einig. Denn die Schülerbefragung ergab auch, dass nur fünf Prozent der Jugendlichen die junge Generation angemessen durch die Stadtpolitik vertreten sehen. Ideen, wie das geändert werden kann, gibt es bereits: gemeinsame Workshops, die Zusammenarbeit bei der geplanten „Zukunftswerkstatt“ oder die Wiederbelebung des Schülerparlaments.

„Es ist wichtig, dass wir den Schwung aus dem Gespräch und dem Reformationssommer mitnehmen“, sagt Bürgermeister Kirchner. Am Ende zählt, was wirklich gemacht wird. Und immerhin, das betont Hanna Mielke, sei es nicht ausgeschlossen, nach dem Studium nach Wittenberg zu ziehen. Damit ist sie nicht alleine: Bei einem guten Jobangebot würden nur acht Prozent der befragten Schüler eine Rückkehr ausschließen. (mz)