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Letzte Fahrt der Heidebahn Letzte Fahrt der Heidebahn: Abschied zwischen Zorn und Trauer

Von marcel duclaud 20.12.2014, 12:28
In Wittenberg warten zahlreiche Schüler auf die Heidebahn.
In Wittenberg warten zahlreiche Schüler auf die Heidebahn. achim kuhn Lizenz

bad schmiedeberg - Wenigstens das Wetter passt: In Bad Schmiedeberg gießt und stürmt es, als die Heidebahn am Mittag zu einer ihrer letzten Fahrten an ihrem letzten Tag aufbricht. Wolfgang Vorpahl hält das, was Petrus zur Erde schickt, für der Sache angemessen. Es gilt, Abschied zu nehmen von einem mit Hoffnungen und Engagement begleiteten Projekt. Die Bahnverbindung zwischen Wittenberg und Bad Schmiedeberg wird eingestellt, trotz erheblicher Proteste. Über 5 000 Menschen, überwiegend aus der Region, haben sich per Unterschrift für den Erhalt der Bahn eingesetzt. Und das bei einer verhältnismäßig kurzen Strecke von etwa 30 Kilometern.

Protest mit These 96

Was Vorpahl, Betriebsleiter Eisenbahn bei der Vetter GmbH, wirklich zornig machte, war die, wie er findet, ignorante Art des Umgangs mit dem Widerspruch gegen die Einstellung. Was ihn freut: „Die wollten uns ganz ruhig auslaufen lassen, das hat nicht funktioniert.“ Am Freitag ist der Eisenbahn-Experte, der die letzten Fahrten nicht versäumen mochte, eher nüchtern: „Ich habe mich damit abgefunden. Mir ist wichtig, den Tag sauber rumzukriegen.“ Dass das mit dem Abfinden nicht ganz stimmt, belegt ein DIN-A-4-Blatt, das Vorpahl anpinnt in der Heidebahn. Darauf zu lesen „These 96“, in der es unter anderem heißt: „Die Oberen können schnell auch wieder die Unteren sein.“

„Alles für die Katz“

Am Freitag sieht die Bahn nicht wenige Fahrgäste, die eigens des Abschieds wegen gekommen sind. Horst Pigors zum Beispiel, 82 Jahre: „Wir werden hier doch abgehängt“, fürchtet der alte Mann aus Bad Schmiedeberg und fügt hinzu: „Ich habe auch Unterschriften gesammelt. Alles für die Katz. Das ärgert mich schon.“ Mit „Listen rumgerannt“ ist ebenfalls Kai-Detlev Löweke. „Sehr traurige Angelegenheit“, findet der Moschwiger: „Es gibt doch viele Menschen, die nicht mehr so mobil sind, die angewiesen sind auf die Bahn.“ Von einer „abgeschnittenen Kurstadt“ spricht Löweke und von der „Versorgungspflicht des Staates“. Die Bahn in- und auswendig kennen Saskia Fritzsche und Valentin Gramm. Die beiden Pretzscher gehören zu der Generation, die die mit Abstand meisten Fahrgäste gestellt hat. Sie sind Schüler, täglich unterwegs nach Wittenberg und haben die Vorzüge der Eisenbahn schätzen gelernt: „Der Zug ist sicherer, fährt bei jedem Wetter, man kann das Rad mitnehmen und ist auch noch schneller als mit dem Bus.“ „Schön ist das nicht“, kommentiert die Elftklässlerin das Aus für die Heidebahn. Ihr Mitschüler erklärt: „Wirtschaftlich gesehen habe ich schon Verständnis dafür.“

Doris Grumbach ist da weniger nachsichtig. Sie nutzt mit einer Nachbarin die letzte Gelegenheit, per Bahn nach Wittenberg zu kommen und sagt: „Ich muss oft Ärzte aufsuchen, habe kein Auto und bin auf den Zug angewiesen. Was mit den kleinen Leuten ist, interessiert offenbar keinen.“ Die Pretzscherin fürchtet, dass demnächst die Reise per (Anruf-)Bus umständlicher ausfällt und länger dauert. „Für mich ist das richtig tragisch.“

Der letzte Tag der Eisenbahn-Strecke Wittenberg-Bad Schmiedeberg ruft nicht zuletzt Männer auf den Plan, die leidenschaftliche Bahnfans sind - und weite Wege nicht scheuen, um (noch) einmal mitreisen zu können. André Schneider ist so einer, er ist aus Dresden nach Bad Schmiedeberg gekommen, um die Heidebahn zu erleben und bedauert: „Die Mehrzahl der Bevölkerung kriegt das doch gar nicht mit.“ Hätte die Bahn mehr Fahrgäste gehabt, es wäre schwieriger gewesen, die Strecke abzubestellen.

Streckensammler aus Oldenburg

Eisenbahnfan Andreas Blisgeyn stammt aus Oldenburg, er fährt am Freitag gleich drei Mal mit der Heidebahn. „Ich bin ein Streckensammler“, bekennt er und bedauert das Aus der Verbindung: „Das ist ein typisches Beispiel verfehlter Verkehrspolitik“, schimpft der Streckensammler und nennt die Heidebahn ein „beispielhaftes Modell“. „Dass es nicht fortgeführt wird und dass das Engagement nicht belohnt wird, ist bitter.“

Wolfgang Vorpahl tun solche Worte gut. „Wir waren doch dabei, uns zu entwickeln“, bemerkt er und fügt an: „Wenn wir weg sind, wird man merken, was fehlt.“ (mz)