Kunstprojekt im Augustinuswerk Kunstprojekt im Augustinuswerk: Wittenberger Kunst reist nach Berlin

Wittenberg - Die Skyline seines ganz eigenen New York-Bildes ist bereits vollendet. Nun ist Roberto Lenz dabei, auf dem Papier großformatig neue Häuserschluchten entstehen und eine fantastische Stadt wachsen zu lassen. Mit Ausdauer, Leidenschaft und einer ganz eigenen Bildersprache. Heute habe ich schon fast 300 Häuser geschafft“, zieht er zufrieden Zwischenbilanz.
Der 34-Jährige gehört zur Kunstgruppe im Augustinuswerk. Seit zwei Jahren schon kommen hier zweimal im Monat ganztägig 15 Menschen mit seelischer oder geistiger Beeinträchtigung aus unterschiedlichen Bereichen der Werkstätten und aus dem Wohnbereich des Augustinuswerks in der Lutherstadt Wittenberg zusammen und sind künstlerisch tätig.
Manche suchen vorsichtig tastend nach einer eigenen Formsprache, andere haben ihren Ausdruck schon gefunden. Was Roberto Lenz an seinen Stadtansichten fasziniert, ist die Struktur. „Ich denke immer, ich habe keine in meinem Leben, also schaffe ich sie mir auf diese Weise“, sagt er.
Doreen Hanold hingegen haben es Menschen angetan. Ihre Zeichenbücher sind voll von eigenwilligen Porträts: Ein Selbstbildnis als Baby auf dem Arm der Mutter, ihre Tante Sabine, aber auch Fantasiegestalten, wie Lisa Blüm, Kinohelden wie Luke Skywalker oder ein geflügelter Armor bevölkern die bunte Bilderwelt.
Sie habe schon als Kind viel gezeichnet, sagt sie, zunächst ausschließlich schwarz weiß, wurden die Werke bunt. „Das war, als der Farbfernseher kam“, erinnert sie sich.
Der Begriff Outsider Art (Außenseiter Kunst) wurde von Kunstkritiker Roger Kardinal im Jahr 1972 als englisches Synonym für den französischen Begriff „Art brut“ („rohe Kunst“) geprägt. Der französische Künstler Jean Dubuffet fasste unter diesem Begriff Kunstwerke zusammen, die außerhalb des offiziellen Kunstbetriebs entstehen und von gesellschaftlichen Außenseitern, wie Psychisch Erkrankten geschaffen werden. Er sammelte Kunst aus psychiatrischen Einrichtungen in ganz Europa. Für ihn waren die Kranken Personen, die jenseits gesellschaftlicher Konventionen arbeiteten und ursprüngliche Kunst schufen. Mittlerweile hat sich die Kunstrichtung etabliert.
Das Augustinuswerk ist ein ökumenischer Verein in Wittenberg und bietet ein breites Spektrum an Dienstleistungen insbesondere im Bereich der Pflege, Betreuung, Erziehung, Ausbildung, Förderung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, von Pflege- und Hilfsbedürftigen sowie von Kindern und alten Menschen. Die Ausstellung „Outsider Art“ zeigt noch bis Juni in den Räumen der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin eine Auswahl der hier entstandenen Kunstwerke.
Geleitet wird das Atelier von Uta Kilian Moes. Die freischaffende Künstlerin arbeitet seit gut zwei Jahren mit den Männern und Frauen und ist fasziniert von der berührenden Bildsprache und der ganz eigenen Erzählweise jedes einzelnen.
Jessika Vogel etwa bringt zu Papier „was man sich wünscht“ und auch „was man erlebt hat“ und nicht zuletzt „was einen bewegt“. Die fantasievoll träumerischen Werke sind farbenfroh und voll überraschender Details.
Bei der Förderung dieser autodidaktischen Talente geht es Kilian-Moes ganz ausdrücklich um Kunst, nicht um Kunsttherapie. Dass es die kreative Truppe aus dem Augustinuswerk jetzt geschafft hat, öffentlich ausgestellt zu werden, freut die Künstler ebenso wie die Atelierleiterin.
Unter dem Titel „Outsider Art“ werden derzeit rund 40 Werke, die in den letzten zwei Jahren der Wittenberger Kunstgruppe entstanden sind, in der Landesvertretung Sachsen-Anhalts in Berlin präsentiert. Das sei „richtig toll und ganz schön aufregend“ bekennt Julia Kaiser, die hauptsächlich Pferde und Eulen malt „weil ich die Tiere mag“.
Für noch ein wenig mehr Aufregung und jede Menge Vorfreude sorgt eine Einladung der Künstler in die Landesvertretung: Am 24. April werden sie sich auf den Weg in die Hauptstadt machen und die Gelegenheit nutzen, ihre eigenen Werke in einem neuen Rahmen in Augenschein zu nehmen. Es ist ein Höhepunkt, aber kein Schlussstrich ihrer kreativen Tätigkeit.
„Wo das hingeht, wissen wir auch noch nicht so genau, sagt Uta Kilian-Moes, „aber wir arbeiten auf jeden Fall weiter“. An neuen Ideen und an Fantasie mangelt es den Malern jedenfalls nicht. (mz)