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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Die Magd und der Baumeister

Von UTE OTTO 11.08.2011, 16:09

PRATAU/MZ. - Dass die Magd auf dem Gutshof morgens mit den Hühnern aufsteht, um das Tagwerk zu beginnen und abends als Letzte in die Federn kam, haben Geschichtsschreiber und Märchenerzähler überliefert. Diesem Ruf wird auch Susanne Kohl als Magd Paula vom Pratauer Bauernvolk gerecht. "Bei Luthers Hochzeit ist sie früh morgens die Erste und abends die letzte im Stand", berichtet der Vorsitzende "Großbauer" Karl-Heinz Böhmert. Und ihr Mann Nicol schläft gleich dort, um Geschirr, Wein und (die von seiner Frau vorsorglich geleerte) Kasse zu bewachen.

Ein gutes Omen

Doch ist Nicol Kohl, genannt "der Nickinger", nicht etwa der Knecht, sondern der Baumeister im Verein. "Er opfert viel Freizeit für den Bau von altertümlichen Bänken und Tischen", so Böhmert. "Beim Aufbau des Stands ist er der wichtigste Mann." Deshalb schlägt der Vereinsvorsitzende das Ehepaar als "Helfer mit Herz" vor.

Bis 2003 haben sie in Wittenberg gewohnt, doch aus dem Stadtfest, erzählt Susanne Kohl, hätten sie sich bis dahin gar nicht so viel gemacht. "Wir sind mal hingegangen, das war's aber auch." Dass sie nun mittendrin sind - "schuld ist Herr Böhmert", sagt der "Nickinger". Nicht lange nach ihrem Einzug hatte er die neuen Nachbarn angesprochen, ob sie nicht im Umzug beim Pratauer Bauernvolk mitgehen wollten. Zwei Tage vor dem Stadtfest 2004 sind sie dann zum Trachtenverein wegen der Gewänder. "Gleich das erste hat gepasst", erzählt Susanne Kohl. Das war wohl ein gutes Omen.

Und auch die Atmosphäre beim Umzug und im Lager habe ihnen sofort gefallen, sie haben sich einfach anstecken lassen von der Begeisterung der anderen. Wie sie zu ihren Alias-Namen gekommen sind, wissen sie gar nicht mehr. "Irgendwer hat sie uns verpasst." Schon bald werkelte der handwerklich geschickte "Nickinger", im zivilen Leben betreibt der 39-Jährige einen Hausmeisterservice, an der Ausstattung des Bauernvolkes mit. Sogar eine alte Kutsche haben sie restauriert. Und nach jedem Stadtfest, jedem Reformationstag gibt es etwas zu reparieren an Bänken, Tischen oder am Unterstand.

"Magd Paula" ist derweil eine fleißige Organisatorin. Sie beschafft das Geschirr für das Lager, kümmert sich um den Einkauf von Lebensmitteln und Wein, bringt zum Stadtfest den übernächtigten Wächtern des eigenen Lagers das Frühstück, schmiedet Dienstpläne, damit sich jeder mal ein paar Stunden ins Stadtfest-Getümmel stürzen kann und am Stand dennoch alles gesichert ist. Auch die Vereinsfeste, das Bauernvolk ist dem Freizeit- und Seniorenklub Pratau angegliedert, organisiert die 36-jährige Zahnarzthelferin nach Kräften. "Man kann sich auf sie immer verlassen", sagt Böhmert über seine Stellvertreterin, er befürchte manchmal sogar, "dass sich alle nur noch auf sie verlassen".

Offene Atmosphäre

Vieles aus der Wittenberger Geschichte haben sie inzwischen gelernt, sagen Kohls, und es sei zu wünschen, dass sich die Einwohner noch mehr damit identifizieren. Da seien gleichwohl auch die Pratauer schwer hinter dem Ofen hervorzulocken. "Wir haben nun eine Grundschule ,Katharina von Bora', aber die haben noch nie ein Kinderlutherpaar gestellt", fällt Susanne Kohl als Beispiel ein. Dass das Bauernvolk wie der gesamte Verein weiter so gut zusammenhält "und sich nicht verkracht", wie es in anderen Vereinen rund um das Stadtfest passiert sei, das wünschen sich Kohls. Sicher, "Meinungsverschiedenheiten gibt es bei uns auch, aber es geht in einer offenen Atmosphäre immer weiter", so Susanne Kohl.

"Die Gemeinschaft darf keine Maske sein, unter der der eine lacht und der andere weint", dies hatte Karl-Heinz Böhmert dem Verein als Leitspruch gegeben, und der sei genau passend. Was sie tun im Verein, empfinden die Kohls indes nicht als besonders oder gar als eine Belastung. "Es ist doch alles freiwillig und unser Hobby", sagt der "Nickinger".