Kraftwerk in Zschornewitz Kraftwerk in Zschornewitz: Zukunft des Denkmals noch ungewiss

Zschornewitz - Großer Bahnhof im Gräfenhainichener Ortsteil Zschornewitz. Im Beisein von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wurde der 100. Jahrestag der ersten Netzschaltung des Kraftwerks gefeiert. 1915 war die Anlage in nur neun Monaten aus der Erde gestampft worden. Wenig später avancierte sie zum weltgrößten Braunkohlekraftwerk. 1992 ging das Energiebündel vom Netz.
„Das ist ein Stück der weltweiten Industriegeschichte. Das Industriedenkmal darf nicht verloren gehen“, betonte Haseloff am Sonnabend vor einer Reihe von Kraftwerkern, die ihren Arbeitsplatz auch 23 Jahre nach der letzten Schicht vor dem Vergessen bewahren wollen und Interessierte durchs Denkmal führen.
Unermüdliche Ehrenamtliche
Silke Patze ist Kraftwerkerin mit Leib und Seele. Sie war Maschinistin, ist ihrer Liebe treu geblieben und hat Neugierigen gern ihr Kraftwerk erklärt. „Bis zu 2 000 Leute im Jahr, aus freien Stücken und ehrenamtlich“, sagt sie. Auch im Ehrenamt könnte sie bald die letzte Schicht gefahren haben. Vattenfall als Eigentümer des Kraftwerksgeländes in Zschornewitz hat offensichtlich wenig Interesse am Erhalt des musealen Teils. Die Rede ist von einer Kappung der Medienversorgung und einer weiträumigen Absperrung des Areals. Das wäre der Todesstoß fürs Denkmal und das Ehrenamt. Sollte die 100-Jahr-Feier tatsächlich die letzte Schicht gewesen sein, wäre das vielsagend. Der Jubeltag fiel mit dem Tag des Ehrenamtes zusammen.
„Ich habe ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. So wie damals, als die Maschinen heruntergefahren worden waren“, erzählt Silke Patze. Als der Ministerpräsident vorfährt, ist sie wie alle anderen Kollegen von einst freundlich. Sie weist den Weg in die Schaltwarte und wird Haseloff dort später um den Eintrag ins Gästebuch des Industriedenkmals bitten. Der Landesvater zückt den Stift und setzt die Unterschrift. Mit seinem Appell für den Erhalt des Denkmals hat er erst einmal gepunktet. Gleichwohl seine Botschaft für den Moment nicht mehr als ein Zeichen der Hoffnung ist. Haseloff hofft, den Energieriesen umstimmen zu können.
Vattenfall will sich unter anderen von seiner ostdeutschen Braunkohlensparte trennen. Das Land hat Mitspracherecht in den Verkaufsverhandlungen und könnte das Thema Zschornewitz indirekt in die Gespräche einbringen.
„Wir werden auf das Archivgesetz verweisen“, so Haseloff. Mit dem Gesetz soll Archivgut vor Zerstörung und Zersplitterung geschützt sowie seine öffentliche Nutzung gewährleistet werden. Zschornewitz mit seiner beeindruckenden Geschichte ist für den Ministerpräsidenten ein Musterbeispiel für große Industriekultur.
„Sachsen-Anhalt ist nicht nur Luther, Reformation und Bauhaus. Industrie gehört dazu“, legt auch die Zschornewitzer Ortsbürgermeisterin Martina Schön (SPD) den Finger in die Wunde. Gräfenhainichens Ex-Bürgermeister Harry Rußbült (Linke) wird deutlicher. „Wollen findet Wege. Nichtwollen findet Gründe“, ist seine Botschaft Richtung Energieriese Vattenfall. Auch der neue Gräfenhainichener Bürgermeister Enrico Schilling (CDU) appelliert an die Vernunft. „Zschornewitz hat sein Gesicht immer wieder geändert. Das Kraftwerk gehört aber einfach dazu.“
Daran gibt es auch für Werner Voigt keinen Zweifel. Der 75-Jährige hat als Elektromeister sein Brot verdient. Das Kraftwerk war sein Leben. Voigt steht unter Strom: Lange war er Chef des Sportvereins Turbine. „Zschornewitz ohne Kraftwerk, das geht nicht“, meint er und beweist, welche pfiffigen Geister die Kraftwerkssenioren sind.
Jeden Mittwoch gingen die zum Dienst. Punkt 8 Uhr wurde losgelegt. Die rührige Truppe kümmerte sich ums Denkmal inklusive Schaltwarte. Voigt erweckt das Energiebündel Kraftwerk noch einmal zum Leben. Maschine 9 fährt hoch. Die Regler schlagen an. Strom fließt. Berlin, Leipzig, Piesteritz können aufatmen. Die Senioren haben nachgeholfen. Sie haben die Schaltkreise manipuliert. Alles ist Illusion. Aus Zschornewitz kommt kein Strom mehr. Die Schaltwarte braucht Strom. „Aber wir können das so jedem erklären.“
Immer wieder Rückschläge
Die Geschichte kennen, um Zukunft zu verstehen. Das wollen die Zschornewitzer mit dem Betrieb des Industriedenkmals umsetzen. Sie haben viele Befürworter, haben aber auch mit Rückschlägen umgehen lernen müssen. 100 Jahre Netzschaltung haben sie hoch angebunden. Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) übernahm die Schirmherrschaft. Dennoch kam der Motor schnell ins Stottern. Der negative Höhepunkt der Feiern war die Absage einer Veranstaltung zur Geschichte der Zschornewitzer Kleinbahn und des Tages des offenen Museums. Vattenfall hatte mit Rückbauarbeiten auf dem Kraftwerksgelände begonnen. Die Kraftwerker standen vor der Tür.


