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Jubiläum in Leucorea Jubiläum in Leucorea: Musik, die unter die Haut geht

Von Erhard Hellwig-Kühn 16.10.2020, 11:59
Frank-Michael Erben, 1. Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses, gestaltete zusammen mit dem Pianisten Alfredo Perl in der Stadtkirche Wittenberg das Jubiläumskonzert der Reihe Leucorea musica.
Frank-Michael Erben, 1. Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses, gestaltete zusammen mit dem Pianisten Alfredo Perl in der Stadtkirche Wittenberg das Jubiläumskonzert der Reihe Leucorea musica. Hellwig-Kühn

Wittenberg - 1994 wurde in Wittenberg die Stiftung Leucorea ins Leben gerufen, um nach fast 200 Jahren wieder akademisches Leben in die Lutherstadt zu holen. Der Enthusiasmus in ihrer Gründungsphase und die akademische Belebung waren ungleich höher als die Nachhaltigkeit des universitären Lebens in Wittenberg heute.

Etwa zwei Jahre später, genauer am 16. Oktober 1996, entstand die musikalische Veranstaltungsreihe Leucorea musica, die ohne das Collegium musicum, das Akademische Orchester Halle, dem Universitätschor „Johann Friedrich Reichardt“ - kurzum der Universitätsmusik der Uni Halle nicht denkbar wäre und die mit dem Musiker, „Impresario, dem Nestor“ und nicht zuletzt dem begnadeten „Conférencier“ Matthias Erben eng verknüpft ist, wie die derzeitige Geschäftsführerin der Stiftung Leucorea, Marianne Schröter, erwähnte. Diese Konzertreihe geht in diesen Tagen in das 25. Jahr und ist nach wie vor ein Magnet im kulturellen Leben Wittenbergs.

Auch mit Orchester

Matthias Erben zog ein kurzes Resümee über fast 25 Jahre Leucorea musica. 207 Konzerte (nach mehrmaligem Nachzählen sei es verifiziert) fanden an den unterschiedlichsten Wittenberger Locations statt, einschließlich der beiden großen Kirchen und der katholischen Kirche. 2005 waren es allein insgesamt 14 Konzerte und damit die meisten. Begonnen wurde mit Kammermusik - und es entwickelte sich bis hin zu Aufführungen mit großem Orchester mit Oper und Symphoniekonzerten.

Zu dem Jubiläumskonzert „25 Jahre Konzertreihe Leucorea musica“ wurde am Mittwoch in die Stadtkirche Wittenberg eingeladen. Als Solisten kamen zwei hochkarätige Musiker: der Geiger und Dirigent Frank-Michael Erben, vielen bekannt als 1. Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses (er übrigens ist der Cousin von Matthias Erben) sowie der Pianist und gebürtige Chilene Alfredo Perl, Professor an der Detmolder Hochschule für Musik und ebenfalls vielfach preisgekrönt und bekannt durch seine exzellenten Einspielungen vor allem Beethovenscher Klaviermusik.

Auf dem Programm standen die drei Sonaten aus op. 30 für Klavier und Geige, die entstanden sind in einer Zeit, als sich die zunehmende Irreversibilität seiner Schwerhörigkeit bei dem 30-jährigen Beethoven einstellte. Es ist die Zeit, als er Kuren, Wässerchen und für ihn konstruierte Hörrohre ausprobierte. Das Heiligenstädter Testament, ein Brief an seine Brüder Kaspar Karl und Johann, entstand in dieser Zeit, in welchem der Komponist über seine Selbstzweifel schreibt und über den nahenden Tod. Er hatte suizidale Gedanken. Seine Karriere als Klaviervirtuose wurde durch die zunehmende Taubheit begrenzt, so dass seine Komponisten-Tätigkeit sich als Hauptstandbein entwickeln musste, verbunden mit wirtschaftlichen Ängsten.

Die Violinsonaten op. 30 sind eine Auseinandersetzung der Geige mit dem Klavier als unterschiedliche Partner. Die mittlere Sonate ist in Beethovens Lieblingstonart c-moll gesetzt, die umrahmt wird von den dreisätzigen A-Dur- und G-Dur-Sonaten. Lyrisch-verhalten erscheint etwa die Nr. 1 in A-Dur in einer virtuosen musikalischen Sprache, die seinerzeit zu unrecht als „alltäglich“ abgetan wurde. In der c-moll-Sonate ist das Grüblerische, Dunkle, Stürmische Programm.

In der Interpretation durch die beiden Solisten geht das dem Zuhörer unter die Haut. Die sinfonischen Reminiszenzen mit viel Pathos wurden wunderbar von Erben und Perl herausgearbeitet, sehr musikalisch und virtuos. Die Leistungen waren herausragend, die Klangqualität erfrischend mit viel Luft und Atmosphäre. Die Intonation und Virtuosität des Geigers erschien an jedem Punkt in den Sonaten makellos. Diese wurden vom Pianisten kunstvoll ergänzt und aufeinander abgestimmt mit viel Gespür für musikalische Dialoge und natürliche Phrasierung. Es entstand so eine Klangwelt von Trunkenheit und Trance.

Ein besonderes Erlebnis

Vor der Zugabe mit einem Largo von Bach und nach langanhaltendem Applaus bedankte sich bescheiden Frank-Michael Erben beim Publikum. Es sei etwas Besonderes, wieder spielen zu dürfen in dieser von Corona geprägten Zeit. Nein: Für das Publikum war es etwas Besonderes, ihn und seinen Partner Alfredo Perl in Wittenberg erlebt zu haben. (mz)