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Jahresrückblick Im November sorgte eine Bombe in Wittenberg für Aufruhr

Am 19. November wurde auf einem Acker an der Zahnaer Straße eine 125-Kilogramm-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft.

Von Irina Steinmann Aktualisiert: 26.12.2021, 15:53
Der Bomben-Fundort aus der Vogelperspektive. Auf der Fläche östlich der Zahnaer Straße sollen Eigenheime entstehen.
Der Bomben-Fundort aus der Vogelperspektive. Auf der Fläche östlich der Zahnaer Straße sollen Eigenheime entstehen. Foto: Klitzsch

Wittenberg/MZ - Dass hier etwas liegen könnte, war von Anfang an klar. Bei dem Nachbarn! Es sei „nicht ausgeschlossen“, dass Munitions- und Sprengkörperfunde gemacht würden, hieß es bereits 2005 über den Bebauungsplan O4, Teilplan A. „Bei Bauarbeiten sind daher entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen“, war im Kapitel 9 „Altlasten und Kampfmittelbeseitigung“ des beauftragten Ingenieurbüros weiter zu lesen.

Mehr als 15 Jahre - rechtskräftig war genannter Bebauungsplan bereits seit dem 16. Dezember 2005 - mussten allerdings vergehen, bevor hier östlich der Zahnaer Straße die Probe aufs Exempel gemacht wurde. Vorher wollte auf der Wiese zwischen Bundesstraße 187 und Bahngleisen niemand bauen. Im Boden ruhte ungestört der Tod.

Sprengung vor Ort

Als Anfang November eine Flak-Granate gesprengt werden musste, horchte die Bevölkerung erstmals auf. Das Kriegsgerät vom Kaliber 10,5 Zentimeter aus Wehrmachtsbeständen war bei Voruntersuchungen für das Wohnbauprojekt gefunden worden. Keine Gefahr für die Bevölkerung, also sprengen noch an Ort und Stelle, entschieden die Experten und taten diskret ihre Arbeit.

Man nahm das interessiert zur Kenntnis und erinnerte sich vielleicht noch mit leichtem Schauder an Orte, wo derlei gang und gäbe ist, Potsdam etwa oder Oranienburg. Zwei Wochen später aber wurde Wittenberg selbst zum Schauplatz einer Aktion, die ihresgleichen sucht in der Stadtgeschichte. Nach der Entdeckung einer 125-Kilogramm-Bombe US-amerikanischer Provenienz und einer weiteren nazideutschen Flak-Granate wurde quasi von einem Tag auf den anderen ein Bannkreis gezogen um den neuerlichen Fundort an der Zahnaer Straße.

Entschärfung und Sprengung sofort!, lautete jetzt das Kommando. Im Umkreis von 500 Metern mussten rund 325 Menschen ihre Häuser verlassen. Eine Drohne des Technischen Hilfswerks (THW) mit Wärmebildkamera und kurz darauf noch ein entsprechend bestückter Polizeihubschrauber kontrollierten, ob auch wirklich alles menschliche Leben das Gebiet verlassen hatte. Die Menschen, ohnehin schon gebeutelt von den endlosen Zumutungen der Corona-Pandemie, gingen ohne zu murren, so jedenfalls berichteten es später die Einsatzkräfte. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst gehen konnte, dem halfen die Johanniter. Ziel war die Stadthalle, wo die Helfer vom Roten Kreuz allerdings nicht überrannt werden sollten, wie der MZ-Reporter vor Ort feststellte. Nur eine Handvoll Menschen nutzte das Angebot, die meisten waren für die paar Stunden wohl bei Freunden oder Verwandten untergekommen oder nutzten die Zeit für Einkäufe. Gar nicht benötigt wurde das Übergangsquartier für Corona-Quarantäne-Fälle, das Stadthaus am Arsenalplatz.

Auf dem Hof des THW ballten sich gegen Mittag die Helfer, Feuerwehrleute, THW-Mitarbeiter auch von auswärts; ein paar hundert Meter die Straße hinunter im Mittelfeld standen diverse Einsatzwagen der Johanniter. Zu tun gab es für sie, zum Glück, nur wenig. Um 12 Uhr wurde der Luftraum gesperrt. Es konnte losgehen. In der Einsatzzentrale im ersten Obergeschoss des THW-Gebäudes hielt, via Handy, allein Stefan Adrio vom Ordnungsamt des Landkreises den Kontakt zum Sprengmeister. Filmatmosphäre.

Für die Entschärfung der Bombe hatten sich die Kampfmittelbeseitiger einen tiefen Krater gegraben.
Für die Entschärfung der Bombe hatten sich die Kampfmittelbeseitiger einen tiefen Krater gegraben.
Foto: Thomas Klitzsch

Sprengmeister Denny Knabe vom Kampfmittelbeseitigungsdienst aus Dessau wusste freilich selber, welchen Draht er durchzuknipsen hatte, den roten oder den blauen, und es dauerte dann auch keine 18 Stunden, bis Entwarnung gegeben werden konnte.

Und ab auf den Transporter

12.35 Uhr war die Bombe gezähmt, kurz darauf noch ein Knall, das war die kontrolliert gesprengte Granate. Auf dem Feld wuchteten Knabe und sein Kollege die rostige Bombe auf die Ladefläche eines Kleintransporters. Zwei Zünder hatten entfernt werden müssen, wobei sich der hintere als widerspenstig erwiesen hatte, wie ein sehr lebendiger Denny Knabe nach getaner Arbeit der MZ berichtete. Und die Elstervorstadt konnte peu à peu zur Normalität zurückkehren. Bald rollten auch wieder die Züge auf der Strecke Wittenberg - Falkenberg.

Das Erbe von Arado

Der Geschichte des Wittenberger Ostens wurde an diesem 19. November ein weiteres Kapitel hinzugefügt, von dem womöglich schon bald auch die neuen Nachbarn, die künftigen Bewohner auf dem früheren Feld, hören werden. Von der Bombe und von dem, was im Zweiten Weltkrieg Anlass für deren Abwurf gewesen war: das Arado-Flugzeugwerk. Von der kriegswichtigen Anlage, zu der auch ein Zwangsarbeiter-Lager gehörte, ist nicht viel übrig geblieben, im Verwaltungsgebäude an der Dresdener Straße befindet sich heute das Finanzamt.

Wie die Stadt Wittenberg kurz vor Weihnachten auf Anfrage mitteilte, will ein Investor auf dem jetzt bombensicheren Acker Bauplätze für etwa 30 Eigenheime schaffen. Im ersten Quartal 2022 werde das Vorhaben auch die politischen Gremien beschäftigen.