Igelit-Schuhe und Gehacktes statt Bier
Gräfenhainichen/MZ/wg. - Aber als am 16. September 1948 die Enteignung des "ehemaligen kapitalistischen Druckereibetriebes" in der Geburtsstunde des VEB Werkdruck mündete, war im Altbetrieb in der früheren Karl-Marx-Straße (jetzt Wittenberger Straße, Bibliothek) Setzern, Druckern und Buchbindern erst einmal eine Perspektive gegeben. Auch weil ab 1956 die Deutsche Akademie der Wissenschaften Berlin Hauptauftraggeber wurde, entwickelte sich der Betrieb schnell zu einem, vor allem wegen seiner fremdsprachlichen Kompetenz, echten Qualitätssymbol.
Und das weltweit. Nach 41 monatiger Bauzeit wurde am 15. Oktober 1971 der neue moderne Betrieb am Gutenbergplatz übergeben. Um die 200 Menschen arbeiteten fortan im VEB Druckerei "Gottfried Wilhelm Leibniz". Paul Walther übergab "planmäßig" die Leitung an Horst Winkler, der aus Altenburg nach Gräfenhainichen gekommen war. Inzwischen 64-jährig war er am Samstagabend dabei, als sich gut zwei Dutzend Exkollegen jetzt schon traditionell zu einem gemütlichen Wiedersehenstreffen begegneten. Putzmunter Elli Winkler, inzwischen kaum glaubhafte 78 Jahre alt und seit 1945 zunächst als Hilfskraft und nach einer Ausbildung zum Buchbinder, wie sie sagt, "überall einsetzbar". Dann der Radiser Günter Thäle, sozusagen Chefstatistiker, hat 450 Namen ehemaliger "Werkdrucker" in seiner Kartei. Der 75-jährige gelernte Schriftsetzer, später Gießer, war Jahrzehnte per Moped oder Fahrrad nach Gräfenhainichen zur Arbeit gekommen.
Buchdrucker und später noch Offsetdrucker Hans Seibold ist auch schon ein Stückchen über die 70. Und für die regelmäßigen Treffs noch organisatorisch den Hut auf hat Erika Kühnemund (72), früher mit verwaltungstechnischen Aufgaben beschäftigt. Schriftsetzer Emil Gottwald philosophierte derweil über sein erstes Gesellengehalt: 267 Mark, auf die Hand. Andere amüsierten sich im Rückblick: Igelit-Schuhe an den Füßen, Ofenheizung gegen klamme Setzerfinger. "Aber", wusste Winkler, "das Bier kostete nur 40 Pfennig" und "das Betriebsessen in den 70er und 80ern lediglich das Doppelte", ergänzte Seibold. Und zum 1. Mai 1949 gab's Nudelsuppe, fiel Thäle noch ein.
Einige der jüngeren Ex-Leibniz-Mitarbeiter haben sich inzwischen umorientiert. Henry Bachmann beispielsweise hat in einer Bernburger Druckerei Arbeit gefunden, Karsten Berger in Kropstädt und Bernd Thäle in Leipzig. Und weil natürlich bei den bekanntermaßen zumeist nicht auf den Hinterkopf gefallenen "alten Experten" auch der Flachs blüht, erzählte Thäle Senior, wie es einem noch frischen Jungspunt erging, der für einen altgedienten Setzer ein halbes Pfund Gehacktes holen sollte, das brav tat und nicht wusste, dass dies das Tarnwort für eine Flasche Bier war.