Hausärztin in Reinsdorf Hausärztin in Reinsdorf: Gerti Hasse hört mit 75 Jahren auf

Reinsdorf - Es gibt Bilder von hoher Symbolkraft. Jenes von Gerti Hasse und Gudrun Tegge ist so eins: Zum Gespräch mit der MZ an einem sonnigen Märztag hat die 41-jährige Internistin Tegge im Sprechzimmer am Schreibtisch Platz genommen. Allgemeinmedizinerin Hasse hält sich für eine Weile im Hintergrund. Es hat die Zeit des Übergangs begonnen, denn nach über 40 Jahren im Dienst am Nächsten denkt Hasse mit 75 Jahren nun auch einmal an sich und zieht sich aus dem aktiven Berufsleben zurück.
Damit endet in der Reinsdorfer Strandbadstraße 48 eine Ära, denn seit 1946 waren es Hasse-Ärzte, die dort arbeiteten. Die gute Nachricht: Die Patientenversorgung am Standort geht weiter.
Beruf oder Berufung?
Weder das eine noch das andere ist selbstverständlich. Einerseits klagen ältere Mediziner häufiger, dass sie keinen oder nur unter großen Mühen einen Praxisnachfolger finden. Andererseits kommt es nicht alle Tage vor, dass jemand bis weit in seine 70er Jahre arbeitet und an Ruhestand kaum Gedanken verschwendet. Insoweit, aber das nur nebenbei, hätte Hasse mit ihrer Biografie gut in die jüngste Tagung in der Evangelischen Akademie in Wittenberg gepasst, deren Teilnehmer wie berichtet zum Thema „Vom Beruf zur Berufung 60 plus“ Möglichkeiten der aktiven Alterszeit diskutiert haben.
Für Gerti Hasse muss es mehr Berufung als „nur“ ein Beruf gewesen sein, sonst hätte sie womöglich die hohen Belastungen, die mit der Arbeit besonders zu DDR-Zeiten verbunden waren, kaum so weggesteckt. Etwa berichtet sie von Mammutdiensten wie den Dauerbereitschaften, welche sie - im Wechsel mit einem Kollegen der Poliklinik - zu leisten hatte und die geradezu abenteuerlich anmuten. Auch zu Unfällen wurde sie gerufen, unter anderem.
Ort der Begegnung
Nach dem Tod des Vaters 1967 hatte zunächst Gerti Hasses Schwester, ebenfalls Ärztin, in Reinsdorf den Betrieb am Laufen gehalten - solange, bis sie selbst soweit war. Später führte Gerti Hasse auch die Außensprechstunde in einem Häuschen in Mochau weiter.
Gerti Hasse ist es gelungen, eine Nachfolgerin für ihre Arztpraxis zu finden. Das ist nicht selbstverständlich, wie es vor einiger Zeit von der Kassenärztlichen Vereinigung auf eine MZ-Anfrage hieß. Danach lag der Anteil der Hausärzte im „Mittelbereich Wittenberg“, die älter als 60 Jahre sind, bei 36,5 Prozent. Befürchtet wurde, dass nicht für jede Praxis ein Nachfolger gefunden werden kann. Mit einer sogenannten Landarzt-Quote will Sachsen-Anhalt das Problem angehen (die MZ berichtete).
Das wurde bald mehr als nur eine Stätte für medizinische Versorgung: Haus und Praxis waren für die Dorfbewohner erkennbar auch ein Treffpunkt, den Hasse zu besonderen Fest- und Feiertagen so liebevoll dekoriert hat, dass der Ort kaum noch an eine Arztpraxis erinnerte.
Vor zehn Jahren hat Hasse das kleine Haus in Mochau verkauft. Damals sei klar geworden, dass ihr Sohn, der als Arzt in der Schweiz arbeitet, das Leben im Land der Eidgenossen einer Rückkehr nach Sachsen-Anhalt vorzieht. Gerti Hasse hat sich damit abgefunden, sie erzählt davon ganz sachlich. Und man setzt Kinder ja auch nicht als Altersversorgung in die Welt. Ein wenig emotionaler wird es, wenn sie auf das Landarzt-Dasein ganz allgemein blickt. „Das Erfüllende am Landarztleben ist, dass man alle kennt“, sagt sie, die noch lange Hausbesuche gefahren hat.
Zuletzt jedoch habe sie im Rahmen der Bereitschaftszeiten „nur noch“ Sitzdienste gemacht. Das heißt, wer ihre Hilfe wollte, musste zu ihr in die Praxis kommen. All dies ist wohl aber Teil eines längeren Prozesses gewesen, Hasse sagt: „Die Kräfte lassen nach.“ Ihre letzte Sprechstunde will sie am 28. März halten, am 1. April sitzt dann an ihrer Stelle Gudrun Tegge in der Praxis.
Der Plan ist: ausschlafen
Tegge ist verheiratet und Mutter dreier Kinder. Sie leben in Wittenberg, gearbeitet hat die Internistin auch in Krankenhäusern, in Berlin, sowie in einer Wittenberger Praxis. Jetzt sagt sie, sie habe vor der „Institution Hasse“ großen Respekt - vor allem aber blicke sie „mit Freude“ auf die kommende Tätigkeit. Tegge wird die Räume mieten, sie will investieren, etwa in Technik, die Rede ist unter anderem davon, bei der EDV nachzurüsten.
Und sie wird Hasses Mitarbeiterinnen übernehmen. Die freuen sich ihrerseits auf die Zukunft, über ihre Noch-Chefin sagen sie: „Sie ist ein Unikat.“ Dass sie nun bald Zeit für sich hat, sei gut.
Und Gerti Hasse? Sie bleibt im Haus, es ist ja ihres. Vor der Nähe zur Praxis ist ihr nicht bange, das „Gewusel“ dort täte „gut“. Sie wird mehr Zeit für den großen Garten haben. Und sie wird mehr Zeit haben für ihren Dackel Waldi. Und auch für Konzertbesuche in Berlin. Am 1. April aber will sie erst einmal richtig ausschlafen. Das hat sie sich jedenfalls vorgenommen.
(mz)
