Tagung in Akademie Tagung in Akademie: Aktiv im Alter

Wittenberg - Potenziale. Zeit. Ehrenamt. Zukunft. Hoffnung. So lauten einige Schlagworte, Impulse für ein aktives Leben nach dem Eintritt in den Ruhestand. Zu lesen waren sie am Wochenende auf einer Gemeinschaftstagung der Evangelischen Akademien Sachsen-Anhalt und Thüringen in Wittenberg. Unter dem fragenden Titel „Vom Beruf zur Berufung 60 plus?“ ging es um die „aktive Alterszeit als Chance für Kirche und Gesellschaft“.
Bedenkt man, dass allein im Landkreis Wittenberg nach Angaben des Statistischen Landesamtes 46510 Frauen und Männer 60 plus sind, dann war die Anzahl der Tagungsteilnehmer einigermaßen übersichtlich. Jene aber, die sich auf den Weg gemacht hatten, waren umso intensiver bei der Sache. Rainer Pleißner zum Beispiel.
Der 67-jährige Pfarrer im Ruhestand war extra aus Mönchengladbach angereist. Er engagiert sich bereits ehrenamtlich, indem er sich um ein Kind aus dem Libanon kümmert. Von 100 auf Null zu gehen, kam für ihn nie in Frage.
Zu den Referenten der Tagung gehörten auch Regina Stipani und Gunther Schendel. Während Stipani, sie kommt vom DGB Sachsen-Anhalt, den Beruf aus gewerkschaftlicher Sicht beleuchtete, widmete sich Schendel vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD in Hannover der Berufung aus evangelischer Perspektive. Er erinnerte an Martin Luther, für den alles, was man tut, Berufung sein sollte. Und heute? „Die gesteigerte Lebenserwartung und die Individualisierung bieten die Chance, sich auch im Ruhestand noch mal zu verwirklichen.“ Und er zitierte Wolf Biermann, der einmal sang: „Das kann doch nicht alles gewesen sein (...) Ich will noch’n bisschen was Blaues sehn. Und will noch paar eckige Runden dreh’n...“
Oder Angelika Neumann: 66 ist sie jetzt, 40 Jahre hat sie in Berlin gelebt und gearbeitet, im August 2018 ist sie mit ihrem Partner nach Wittenberg gezogen. Einerseits gebe es durch ein Ferienhäuschen in der Dübener Heide einen Anknüpfungspunkt. Andererseits hätten sie aufgrund der hohen Mietpreise in der Metropole nun ohnehin die Wohnung wechseln müssen. Neumann ist in Wittenberg angekommen und sucht eine Betätigung. Noch in der Übergangsphase ist die 64-jährige Arzthelferin Birgit Eißner aus Merseburg, die zur MZ sagte, „ich arbeite, so lange ich kann“, aber: Auch später will sie sich engagieren, weshalb sie in Wittenberg Informationen und Anregungen einholen wollte.
Die gab es unter anderem am Sonnabendnachmittag bei einem Markt der Möglichkeiten (siehe dazu „Die Engagierten profitieren, sie sind zufriedener“). Jenseits praktischer Tipps wurde das Thema aus unterschiedlichsten wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet und diskutiert. Dabei lag ein Fokus auf dem ehrenamtlichen Engagement aus Gründen einer sinnvollen Beschäftigung.
Wie Holger Lemme von der Evangelischen Akademie Thüringen am Sonntag zur MZ sagte, wurde auch jene Arbeit diskutiert, die mancher nach dem Eintritt in den Ruhestand sucht, um drohender Altersarmut zu entgehen. Lemme, der die Tagung mit dem Wittenberger Akademiedirektor Friedrich Kramer leitete, machte aber insoweit deutlich, dass die Gründe für Altersarmut eher in der jeweiligen Biografie lägen. Anders formuliert: Wer sein ganzes Erwerbsleben wenig Geld hatte, „holt das auch im Alter nicht auf“ (Lemme).
Ähnlich scheint es sich mit dem ehrenamtlichen Engagement ganz generell zu verhalten: Etwa gab Klaus Rothermund, Lehrstuhlinhaber für allgemeine Psychologie an der Universität Jena, zu bedenken, dass auch im Alter diejenigen aktiv sind, die es schon vorher waren: „Niemand erfindet sich im Alter neu.“
Rothermund hatte am Sonntag unter anderem über sogenannte Aktivierungsnormen gesprochen, zu deutsch: Die Jungen fordern die Alten auf, aktiv zu bleiben und Verantwortung zu übernehmen, um nicht zur Last zu fallen. Seine Botschaft sei aber: „Aktivierung sollte eine Option sein, keine Pflicht.“ Sein Appell: „Generationen sollten sich nicht als Konfliktparteien gegenüber stehen.“
Es bedarf nach seiner Auffassung jedoch „flexibler Lösungen“, unter anderem für das Renteneintrittsalter. Wie überhaupt „in vielen Bereichen“ neue Modelle gefunden und „tolerant“ miteinander umgegangen werden müsste. Einen guten Rat hatte er auch: „Man muss sich vorbereiten auf das Alter, vorsorgen. Dann kann es eine schöne Zeit werden.“
Und Vorsorge ist eben mehr als Geld. Das sind auch Netzwerke.
(mz)