Geschichte in Wittenberg Geschichte in Wittenberg: Mehr Augenmerk auf die Frauen

Wittenberg - Wer hätte das gedacht: Harriet Beecher-Stowe war in Wittenberg, wenn auch nur kurz. Die US-amerikanische Schriftstellerin und erklärte Gegnerin der Sklaverei ist die Autorin von „Onkel Toms Hütte“. Der Roman erschien 1852, schon wenig später reiste die couragierte Frau nach Deutschland, in Wittenberg weilte sie, um den Druck der deutschen Ausgabe 1854 bei dem Verlag Herrose und Ziemsen abzusprechen. Die Schriftstellerin wurde damals „mit der Kutsche vom Bahnhof abgeholt“, weiß Richard Thomas zu berichten.
Der Aufenthalt der Amerikanerin, die das weltberühmte Buch geschrieben hat, soll nun gewürdigt werden. Ihr ist wie zwei weiteren prominenten Persönlichkeiten, die allerdings deutlich früher lebten, nämlich in Luthers Zeiten, eine der Gedenktafeln zugedacht, von denen es in Wittenbergs Altstadt so viele gibt - inzwischen 126 Stück. Und die nicht zuletzt daran erinnern, wie wichtig diese Stadt einst war.
Bei den beiden anderen, denen ebenfalls eine Tafel gewidmet wird, handelt es sich zum einen um eine weitere Frau, um Felicitas von Selmenitz aus Halle. Die frühe Witwe (ihr Mann wurde nach einer Hochzeitsfeier von einem erzbischöflichen Marschall erstochen), eine der ersten Bekennerinnen der Reformation in Halle, verkehrte zwischen 1528 und 1535 öfter im Hause Luther, ein Sohn studierte Theologie an der Leucorea. Sie wohnte dereinst an der Ecke Coswiger Straße/Markt.
Streitbarer Theologe
Zum anderen soll an Matthias Flacius Illyricus erinnert werden, ein Theologe und Kirchenhistoriker, der am Kirchplatz sein Zuhause hatte. Er lehrte Hebraistik an der Leucorea und soll ein recht streitbarer Mann gewesen sein. Nach den Worten von Richard Thomas, der unter dem Dach des Rotary-Clubs die Arbeitsgruppe Wittenberger Gedenktafeln leitet, hatte er sich öfter mit dem sensiblen Melanchthon angelegt.
Möglicherweise gehe der Ausdruck „Fläz“ auf Flacius zurück. Illyricus, der aus Istrien stammt, erwarb in Venedig eine gründliche humanistische Bildung und kam über Basel und Tübingen 1541 nach Wittenberg. Seine Gedenktafel wird voraussichtlich im September enthüllt, erwartet werden der kroatische Botschafter und der Sponsor der Tafel, der im Übrigen auch den Wunsch äußerte, dass an den Magister in Wittenberg erinnert wird - ein kroatischer Kirchenhistoriker und Theologe.
Bei den drei genannten Gedenktafeln handelt es sich um neue Namen. Dass gleich zwei Frauen darunter sind, dürfte kein Zufall sein. Thomas räumt ein, dass das weibliche Geschlecht bislang klar unterrepräsentiert ist. Inzwischen sind sechs der 126 historischen Persönlichkeiten, an die per Emaille-Tafel an Häuserfassaden in Wittenbergs Altstadt erinnert wird, Frauen.
Abgängig nach Bauarbeiten
Allerdings ist die Arbeitsgruppe auch damit beschäftigt, einst vorhandene Tafeln zu erneuern - das gilt für drei „abgängige“ Exemplare nach Bauarbeiten im Jahre 2016 an der Alten Lateinschule. Für Friedrich Brandt (1802 bis 1879, Mediziner, Zoologe, Naturforscher), Simon Dach (1605 bis 1659, volkstümlicher Liederdichter) und Johann Gottfried Galle (1812 bis 1910, Entdecker des Planeten Neptun), sämtlich einst Zöglinge der Lateinschule, wurden neue Tafeln dank Sponsoren angefertigt. Ganz billig sind die im Übrigen nicht, rund 400 Euro kostet ein Stück.
Hinzu kommt eine weitere Gedenktafel, bei der der Druckfehlerteufel zugeschlagen hatte: Emanuel Tauentzien (1760 bis 1824, preußischer General) erhält seinen Platz wieder an der Wand am Casinoberg, dort soll auch die gestohlene Tafel des Schwedenkönigs Gustav Adolf, der 1631 Wittenberg besuchte, angebracht werden. Dass die Gruppe, die sich um die Gedenktafeln kümmert, weiterarbeiten wird, versichert Richard Thomas: „Wir werden dabei nicht auf Quantität, sondern auf Qualität achten.“
Erste Tafel von 1845
Die Gedenktafeln selber haben einem Text von Richard Thomas zufolge, der im nächsten Heimatkalender in Wittenberg erscheinen soll, schon eine längere Geschichte. Die erste - damals noch aus Eisenguss - ist 1845 für Philipp Melanchthon an dessen Wohnhaus angebracht worden.
1858 erhielt Johannes Bugenhagen eine Tafel am Haus am Kirchplatz. Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre initiierte Sanitätsrat Gottfried Krüger, Begründer und Vorsitzender des Heimatvereins, weitere Gedenktafeln. Die Tafeln in ihrer heutigen Form - in Emaille - gibt es seit 1956.
Die 91-jährige Ruth Böttcher, damals Sachbearbeiterin beim Rat des Kreises, Abteilung Kultur, erinnert sich noch gut daran, sie schrieb Aufsätze über alle 49 Gedenktafeln der damaligen Zeit. In den 1970er Jahren kümmerten sich Heinrich Kühne als Leiter des Melanchthonhauses und Mitglieder des Kulturbundes um weitere Tafeln.
Ab 1997 widmete sich der Rotary-Club den Gedenktafeln, nahm eine Bestandsaufnahme vor, ersetzte defekte, finanzierte neue. Der Arbeitsgruppe gehören neben Thomas auch Wolfgang Böhmer, Martin Treu, Hans-Joachim Herrmann, Jutta Brinkmann und Katrin Schmidt an. (mz)