Frische Wurst und gerösteter Kaffee
Wittenberg/MZ. - Auch Kaffee wurde frisch geröstet. Ulrich Fest erinnert sich sogar an lose russische Blockbutter. "Die war so gefroren, die mussten wir mit dem Draht durchschneiden."
Seit hundert Jahren trägt das Lebensmittelgeschäft in der Wittenberger Jüdenstraße den Namen Fest. "Mein Großvater Paul hat den Laden 1907 von Ferdinand Dupuis gekauft", erzählt Ulrich Fest. Über einen Kaffeevertreter hatte der Hamburger erfahren, dass in Wittenberg ein Lebensmittelladen zum Verkauf stehe.
In einer Mappe hat Ulrich Fest vieles zur Geschichte des Hauses gesammelt. Da findet sich der vor hundert Jahren geschlossenen Kaufvertrag, datiert auf den 15. August 1907, Gewerbescheine von 1907 und 1945 und viele Fotos, die Umbauten dokumentieren.
Paul Fest investierte kräftig. 1912 wurde das Schlachthaus gebaut (heute Garagen), das bis 1938 genutzt wurde, später ein Lager. 1926 wurde ein zweites Schaufenster geschaffen. "Laden, Stube, Kammer und Küche waren früher im Erdgeschoss nebeneinander", zeigt Ulrich Fest einen Grundriss. Ab Anfang der 30er Jahre hieß das Geschäft "Fest und Sohn". "Mein Vater hat es jedoch nie übernommen. Er ist im Krieg geblieben." Erst die Mutter und dann ab 1967 er, Ulrich, haben den Laden betrieben.
Gelernt hatte er bei der Mutter, einen Lehrvertrag habe er jedoch erst nach einem Jahr bekommen. "1949 sollten nur Frauen Einzelhandelskaufmann lernen", erinnert er sich schmunzelnd. Ob er gewusst habe, dass er das Geschäft mal übernehmen würde? "Ja, das musste so sein", meint er. Mit der HO (Handelsorganisation) zu DDR-Zeiten habe bis zur Wende ein Kommissionsvertrag bestanden. "Politisch hat man uns in Ruhe gelassen. Wir mussten nur unsere Umsätze bringen", erinnert sich der 72-Jährige. Bückware wie Rosenthaler Kadarka, Nougateier oder Negerküsse organisierte man oder bekam sie zugeteilt.
Gern steht Ulrich Fest noch im Geschäft, gemeinsam mit seiner drei Jahre jüngeren Ehefrau Helga, die aus der Optikerbranche kommt. Doch nennt er es nun eher "Beschäftigungstherapie". "Davon leben kann jetzt keiner mehr", verweist er auf Großmärkte und Handelsspannen. "Aber der Laden ist auch kaum zu vermieten."
Also freuen sich beide, unter Leute zu kommen, die immer weniger werdende ältere Kundschaft vornehmlich aus der Innenstadt und Touristen zu begrüßen. "Dass das Hotel wieder offen ist, macht sich schon bemerkbar", sagt Ulrich Fest, der es nicht beleidigend findet, wenn man das zur Wende noch einmal umgebaute Geschäft Tante-Emma-Laden nennt. Nicht mal einen Computer gibt es im Büro. Ulrich Fest wickelt alles auf die altmodische Art - handschriftlich - ab. "Wir sind nicht mehr die Jüngsten", lacht er. Feiern habe man das Jubiläum eigentlich nicht wollen. Sein zehn Jahre jüngerer Bruder sei derzeit im Urlaub. Und sein Sohn sei zwar Inhaber des Lebensmittelgeschäftes, aber er übe nebenan seinen Optikerberuf aus. Ein paar Jahre will Ulrich Fest den Laden noch führen. "Solange die Gesundheit es zulässt", sagt er.