Einsturz des Kirchturms nur eine Legende?
Kemberg/MZ. - Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Kultur- und Kunstvereins in Kemberg hielt Böhme einen Vortrag über "Kemberg und seine Kirche", wobei letztere nicht nur das Gebäude an sich, sondern auch die Kirchenstruktur umfasste. Trotz weniger Quellen, und eben weil aus der Zeit vor 1550 kaum Schriften erhalten sind, meldete Böhme Bedenken zu mancher Legende an. So glaube er nicht, dass Luther, Melanchthon und der Kemberger Propst Bernhardi in Kemberg im Pfarrgarten gesessen und die Ablassfrage diskutiert hätten. Und überhaupt, auch der alte Kirchturm sei 1854 nicht eingestürzt, wie es so oft heißt, es seien lediglich Strebpfeiler gebrochen.
Fast zwei Stunden erläuterte Günter Böhme den über 40 Zuhörern im "Ratskeller" Fakten und Vermutungen. Etwa 1325 bis 1330 sei es gewesen, als der Propsteisitz von Pratau nach Kemberg verlegt worden sei, "wegen ständiger Übergießung mit Wasser", wie es heißt. 1346 wurde die Kemberger Kirche, die aus Anlass der Propsteiverlegung vergrößert worden war, neu geweiht. Eine Reihe von Altären habe es gegeben, unter anderem den Schützenaltar. Schon vor der Reformation war jedoch ein Einschnitt erfolgt: die Propstei Kemberg sowie Klöden wurden dem Allerheiligenstift in Wittenberg zugeschlagen. "Das bedeutete, dass die reichen Einkünfte geteilt wurden. Nicht nur das, die Stiftsherren bekamen auch das Patronatsrecht über Kemberg", so Böhme.
Die Reformation brachte etliche Veränderungen. Bartholomäus Bernhardi, der Propst, trat mit einer gewissen Gertraude Parnier (die Quelle für den Namen ist ungewiss) 1521 in den Stand der Ehe. Bereits 1523 gab es einen gemeinen Kasten, dessen Einnahmen sozialen Zwecken dienten, aus dem sich aber auch Adlige Geld liehen. "Eine gute Quelle sind Visitationsberichte. Sie enthalten unter anderem Listen über Einkünfte und die Ausstattung des Pfarrhauses, die sehr ärmlich war", erklärte Böhme. Erstaunlich ist, dass so manche Zeichnungen von Gebäuden existieren, die längst abgerissen wurden. Dies betrifft nicht nur den Kirchturm, sondern auch das Leipziger Stadttor, in dem der Ratsdiener wohnte. "Im Erdgeschoss waren drei Gefängniszellen, das Haus wurde 1847 abgetragen. Und gründlich wie die Preußen sind, haben sie alles vorher noch gezeichnet. Man könnte es wieder aufbauen", sagte Böhme zur Erheiterung des Publikums. Kurios mutet heute an, dass es zu allen möglichen Anlässen Festessen gab. "Die Stadtoberen waren Ehrenamtliche. Die Essen waren quasi als Entschädigung für ihre Arbeit gedacht." 1555 hatte Kemberg, so Böhme, "250 Hauswirte". "Nur der Mann zählte. Da im Schnitt viereinhalb bis fünf Personen im Haushalt wohnten, können wir von einer Einwohnerzahl von etwa 1 200 ausgehen."