Dreharbeiten bei Hamberger Dreharbeiten bei Hamberger: Sandra Hüller und Franz Rogowski machen Kinofilm

Wittenberg - Wer Filme machen will, muss mit Geduld gesegnet sein - und mit Flexibilität. In Wittenbergs Hamberger Großmarkt im Nußbaumweg wird derzeit viel geräumt. Abends, nach Geschäftsschluss müssen die Ostersachen aus den Regalen, dafür werden Schokoweihnachtsmänner einsortiert und künstliche Christbäume aufgestellt.
Das hat mit dem Drehbuch zu tun, da ist gerade Weihnachtszeit. Das Drehbuch will auch die Kulisse des Großmarktes.
Der Film, der gegenwärtig mit starker Besetzung unter anderem in Wittenberg produziert wird, trägt den Titel „In den Gängen“ - gemeint sind die Gänge eines Marktes, „ein Bienenstock aus Geschäftigkeit“, wie es in der Beschreibung des Stoffs poetisch heißt.
Flexibel muss die gesamte, rund 50 Leute umfassende Filmcrew schon allein deshalb sein, weil deren Lebensrhythmus komplett umgekrempelt wird. Im Großmarkt herrscht fliegender Wechsel. Wenn Mitarbeiter und Kundschaft abends gegen 19 Uhr die Halle verlassen, rücken die Filmleute an und packen ihr umfangreiches Equipment aus.
Gedreht wird nachts, nicht nur bis ein oder zwei Uhr, sondern bis der Morgen graut. Dass das gewöhnungsbedürftig ist, räumt Thomas Stuber ein. Der junge Mann führt Regie und hat am Drehbuch mitgeschrieben: „Die erste Nacht ist hart“, bekennt er. Das Team nimmt solche Widrigkeiten gerne in Kauf: „Wir sind froh, hier drehen zu dürfen.
Es war gar nicht leicht, geeignete Märkte zu finden“, sagt Jochen Laube von der Sommerhaus Filmproduktion, die den Streifen in Kooperation mit Arte, Mitteldeutschem Rundfunk, Südwestrundfunk und Hessischem Rundfunk produziert. Die Bedingungen seien ideal, „zwar können wir nur nachts rein, aber da dürfen wir tun, was wir wollen.“
„In den Gängen“ ist ein Film, der auf einer Kurzgeschichte des namhaften Leipziger Autors Clemens Meyer basiert („Als wir träumten“). Meyer ist für seine ungeschminkten, realitätsnahen Storys bekannt. Das mit Stuber verfasste Drehbuch ist bereits ausgezeichnet worden. „Die Autoren“, attestiert Staatsministerin Monika Grütters, „liefern ein erstaunlich präzises und überzeugend wirkendes Abbild einer realen Arbeitswelt.“ Eben im Großmarkt.
Dort landet der schweigsame Christian, der seinen Job auf dem Bau verloren hat. Er begegnet nicht nur einem väterlichen Freund, Bruno (aus der Getränkeabteilung), sondern auch Marion (von den Süßwaren). Es entspinnt sich eine zarte Liebe „im geschützten Kosmos“ des Großmarktes.
Die beiden geben sich Halt in einem Leben, das draußen schwer auszuhalten sei: „Doch drinnen gehört ihnen die Welt“, schreiben die Produzenten. Der Regisseur sagt: „Es ist eine sehr dichte, atmosphärische, tragische und komische Liebesgeschichte.“
Keine geringere als Sandra Hüller spielt die Rolle der Marion. Die gebürtige Suhlerin ist spätestens nach dem Sensationserfolg von Maren Ades Film „Toni Erdmann“ ein Star. Beim Dreh in Wittenberg trägt sie einen blauen Kittel, wie Christian, den Franz Rogowski gibt.
Bei einer der Szenen, die in dieser Nacht gedreht werden, steigt Marion zu Christian auf den Gabelstapler, ein überaus wichtiges Requisit. Die beiden fahren zusammen in eine entlegene Ecke des Großmarktes.
„Das ist“, gesteht die Schauspielerin, „eine seltsame Welt. Ich war noch nie in einem Großmarkt.“ Vor kurzem hat sie noch eine ganz andere „rauschhafte“ Erfahrung machen dürfen - im Dolby Theatre von Los Angeles. Bekanntlich war „Toni Erdmann“ nominiert für den Oscar als bester fremdsprachiger Film.
Dass es nicht geklappt hat, nimmt sie sportlich: „Wir haben mit dem Film viel erreicht, das ist schön.“ Die Oscar-Verleihung bezeichnet Hüller als das, was man aus dem Fernsehen kennt: „Unterhaltungsshow: sehr groß, leuchtend, bunt.“
Thomas Stuber wollte Sandra Hüller unbedingt für seinen neuen Film. „Ich sprach mit ihr schon vor zwei Jahren über das Buch.“ Mit Franz Rogowski habe man beim Casting einen „idealen Partner“ gefunden.
Dritter im Bunde ist Peter Kurth als Bruno, mit dem Stuber bereits bei „Herbert“ zusammengearbeitet hat, ein Streifen, der mit dem deutschen Filmpreis in Silber ausgezeichnet wurde und dessen Grundlage ebenfalls ein Geschichte von Clemens Meyer ist.
Zurück in den Wittenberger Großmarkt. Sieben der 30 Drehtage sind dort vorgesehen (weitere in Bitterfeld und Leipzig). Sonst freilich spielt die Stadt keine Rolle in dem Kinofilm mit dem Star Sandra Hüller. Dafür Uwe Herms.
Er gehört zu den Statisten, ohne die kein Dreh auskommt. Herms ist Oberbrandmeister aus Magdeburg, der mal erleben möchte, wie so ein Film entsteht. Seine Aufgabe an diesem Abend ist es, eine Kiste Bier auf einen Wagen zu wuchten - wenn die Kamera kommt. Bis sie kommt, das dauert.
Für ihn und für viele andere Beteiligte heißt eine Hauptaufgabe: Warten. Uwe Herms richtet sich auf eine lange Nacht im Wittenberger Großmarkt ein. (mz)
