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Diskussion bei Staatsempfang Diskussion bei Staatsempfang: Empörung über Empfang für chinesischen Vize

Von Julius Jasper Topp 07.06.2019, 12:28
Wang Qishan (rechts) beim Empfang mit Ministerpräsident Haseloff am Samstag an der Schlosskirche.
Wang Qishan (rechts) beim Empfang mit Ministerpräsident Haseloff am Samstag an der Schlosskirche. Klitzsch

Wittenberg - Darf eine Kirche als Bühne für politische Inszenierungen dienen? Diese Frage werfen Vikare des evangelischen Predigerseminars auf und kritisieren in einem offenen Brief, der unter anderem an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gerichtet ist, den Staatsbesuch des chinesischen Vizepräsidenten am vergangenen Wochenende in Wittenberg.

Die 15 Unterzeichner beschweren sich in dem Schreiben, das der MZ vorliegt, dass die Schlosskirche in ein schlechtes Licht gerückt werde, wenn ein hoher Vertreter eines Staates, der sich Christen gegenüber repressiv verhalte, mit Ehren empfangen werde.

„Als Theologinnen und Theologen sind wir empört! Staatsflaggen gehören nicht vor die Kirchentür“, schreiben die Verfasser. Ein roter Teppich passe ebenfalls nicht vor ein Gotteshaus, in dem schließlich jeder gleichermaßen willkommen sei. „Welchen Eindruck von protestantischer Kirche vermitteln wir dem chinesischen Vizestaatspräsidenten, wenn nur das Gebäude gezeigt, aber nicht die christlichen Werte vertreten werden?“, heißt es in dem Brief.

Die Evangelische Kirche in Deutschland wollte auf MZ-Anfrage keine Stellung zu dem Brief der Theologen nehmen. Man antworte generell nicht öffentlich auf offene Briefe, sagte ein Sprecher. Auch zur Staatsbeflaggung vor Kirchentüren gebe es keine Position der EKD.

Flaggen gehisst

„Beides, der hohe protokollarische Rang des Vizepräsidenten und der offizielle Charakter des Besuchs in Deutschland, rechtfertigen im vorliegenden Fall die Ankunftssituation mit rotem Teppich und Beflaggung“, heißt es von der Staatskanzlei. Die Schlosskirche war die erste Station des Staatsgastes in Sachsen-Anhalt.

Die Symbole diplomatischer Ehrbezeugung seien am ersten Ankunftsort obligatorisch - insbesondere, wenn hohe staatliche Repräsentanten den Gast in Empfang nähmen - in diesem Fall war das Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).

Gabriele Metzner, stellvertretende Direktorin des Predigerseminars zeigte sich solidarisch mit den Vikaren in ihrer Einrichtung. Sie unterstütze die Botschaft, die die angehenden Pfarrer überbringen wollen. Den protokollarischen Empfang des Staatsgastes an der Kirche sehe sie ebenfalls als etwas an, das Fragen aufwerfe. Denn: „Welchen Eindruck macht das nach außen, wenn die chinesische Flagge vor unserer Kirche weht?“, fragt sie.

Die Dimension und Symbolhaftigkeit des Staatsbesuchs hätten sie überrascht. Der Staatsgast sei nur sehr kurzfristig angekündigt worden, Details seien kaum bekannt gewesen. Die stellvertretende Direktorin führte Wang Qishan und Ministerpräsident Haseloff kurz durch die Kirche und an Luthers Grab.

Sie habe bei ihrer Führung auf die Thesentür als „Tor der Freiheit“ hingewiesen, sagt sie. Auch das Reformationsmotto „Befreiung aus der Angst“ habe sie dem Staatsgast gegenüber angesprochen.

Auch beim Besuch des umstrittenen ungarischen Präsidenten Viktor Orbán 2017 habe sie durch die Schlosskirche geführt - damals sei dies allerdings ein Privatbesuch gewesen, anders als nun die diplomatischen Ehren beim chinesischen Gast, sagt sie.

Im Weltverfolgungsindex der Organisation „Open Doors“ ist das Land des Lächelns von Platz 43 auf 27 geklettert. Im Bericht schreiben die Autoren davon, dass die Regierung über 1000 Christen eingesperrt habe – oft ohne Gerichtsverfahren. Zahlreiche Kirchen mussten schließen, wurden teils zerstört. Gottesdienste würden nach einer Gesetzesänderung videoüberwacht.

Die Vikare bemängeln in ihrem Brief nicht nur die Art des Empfangs, sondern auch den Umgang mit einem kritischen Banner, das in einem Fenster des Predigerseminars - also hinter der Schlosskirche, wo der Staatsgast gar nicht hinkam - aufgehängt war.

Darauf stand: „Stop persecuting our Brothers and Sisters!“ („Stoppen Sie die Verfolgung unserer Brüder und Schwestern“). Das Plakat wurde von der Polizei entfernt, bevor Wang eintraf. Das sehen die Vikare als Einschränkung der Meinungsfreiheit und vermuteten vorauseilenden Gehorsam.

Banner abgenommen

Die Dessauer Polizeiinspektion, zuständig für die Sicherheit des Staatsbesuchs, begründete den Schritt damit, dass sie in Abstimmung mit dem Predigerseminar - also dem Hausherrn - gehandelt hätte. Dort heißt es von der stellvertretenden Direktorin Gabriele Metzner, die Situation sei hektisch gewesen.

Kurz vor dem Eintreffen des Staatsgastes seien Polizei und der Küster auf sie zugekommen und hätten nach dem Plakat gefragt. Da sie die Aktion der Vikare nicht kannte, habe sie spontan entschieden. Sie sagt: „Wenn ich vorher von der Aktion gewusst hätte, hätte ich es hängen gelassen.“ (mz)