Lokalpolitik Digitale Bürgerbeteiligung stößt in Wittenberg auf Skepsis
Grüne scheitern im Bauausschuss mit Online-Befragung. Auch die Dauer-Webcam im Stadtrat, ein AdB-Vorschlag, findet keine Freunde in der Debatte über die neue Geschäftsordnung.

Wittenberg/MZ - Wie wird die neue Geschäftsordnung des Wittenberger Stadtrats aussehen? Voraussichtlich am 22. Dezember wird der Rat darüber entscheiden. Ein erstes Meinungsbild aus dem Bauausschuss, der sich am Montag als erster in zweiter Lesung mit der Angelegenheit befasste, hat ergeben, dass die Chancen für eine generelle und komplette Übertragung der Ratssitzungen ins Internet nicht gut stehen, ebenso wenig die einer Online-Bürgerbefragung. Beides wurde dort mehrheitlich abgelehnt.
Kritiker befürchten Dauerwahlkampf
Die Dauer-Webcam samt öffentlicher Archivierung des Materials hatte die AdB vorgeschlagen und mit mehr „Transparenz“ geworben. Kritiker fürchten hingegen einerseits einen Dauerwahlkampf und anderseits auch, dass sich weniger wortgewaltige Zeitgenossen unter den Stadträten angesichts des ständigen Kamera-Auges gehemmt fühlen könnten. Bei der rein digitalen Bürgerbefragung, wie sie Grünen-Fraktionschefin Reinhild Hugenroth vorgeschlagen und einen entsprechenden Änderungsantrag zur Beschluss-Vorlage eingebracht hatte, gab es - neben dem vermuteten enormen Aufwand - Bedenken, dass man damit wenig oder gar nicht computer-affine Menschen von vornherein ausschließe.
Hugenroth selbst erhofft sich davon, wie sie erklärte, gerade mehr Beteiligung als bisher. Es gehe darum, den Stadträten eine bessere Grundlage für ihre Entscheidungen zu bieten. Auch die Verwaltung hat sich gegenüber dem Ansinnen sehr offen gezeigt. Tatsächlich scheiterte der Grünen-Antrag im Bauausschuss dann auch nur haarscharf: Es gab drei Ja, drei Nein sowie zwei Enthaltungen, während Hoffmanns Rats-Webcam mit fünf Nein und nur einer Ja-Stimme, seiner eigenen, eindeutig versenkt wurde.
Vehement hatte sich Bauausschussmitglied und Stadtrat Ronny Zegarek (Freie Wähler) gegen die Online-Instrumente gestemmt. Mag ja sein, sagte der Reinsdorfer Unternehmer, dass das die Zukunft sei, das wäre dann allerdings „nicht mehr mein Votum“, drohte er indirekt mit einem Rückzug in der laufenden Legislaturperiode. Zugleich äußerte er starke Zweifel, dass die digitale Meinungsabfrage mehr Bürger hinterm Ofen hervorlocken würde. Schon jetzt, sagte er sinngemäß, kämen die meisten nur in Sitzungen, wenn es dort um ihre ureigensten Angelegenheiten geht - und in die Ortschaftsratssitzungen so gut wie gar nicht.
Einwohner können mehr Fragen stellen
Sowohl Aufzeichnungen als auch Bürgerbefragungen sollen laut der von einem Gremium aus Verwaltungsleuten und Politikern erarbeiteten Satzung für die neue Geschäftsordnung allerdings grundsätzlich möglich sein. Auch drei weitere Punkte, von denen einer ebenfalls die Bürgerinnen und Bürger betrifft, sind nach dem Tenor im Bauausschuss auf einem guten Weg: In den Einwohnerfragestunden der Ausschüsse sollen anders als bisher künftig Fragen auch zu solchen Themen erlaubt sein, die auf der Tagesordnung stehen - sofern der Ausschuss dazu nur berät, nicht beschließt. Die Klausel soll verhindern, dass Volksvertreter von wenigen lauten Anwesenden unter Druck gesetzt werden.
Vorrangig das Miteinander im Rat betreffen unterdessen zwei Änderungen zu Instrumenten, die es n den letzten Jahren im Wittenberger Stadtrat nicht oder so gut wie gar nicht mehr gegeben hatte: Neben der Möglichkeit einer „persönlichen Erklärung“ handelt es sich um die namentliche Abstimmung, vorgeschlagen von der AdB. Solche Voten sind im Rat bisher faktisch so gut wie unmöglich gewesen, da ihre Durchführung einen Mehrheitsbeschluss erfordert. Die Absenkung des Quorums auf 20 Prozent fand im Bauausschuss exakt zwei Befürworter, AdB und AfD, aber das reichte. Jetzt bleibt abzuwarten, was der Stadtrat von all dem hält. Die Sitzung nächsten Mittwoch im Stadthaus beginnt um 16 Uhr.