Kreisverwaltung Wittenberg Dem Landkreis fehlt Personal
Wegen nicht planbarer Aufgaben leisten die Mitarbeiter erhebliche Überstunden. Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger?

Wittenberg/MZ - Die Herausforderungen des Fachkräftemangels spielen in vielen Bereichen der freien Wirtschaft eine größer werdende Rolle. Aber auch innerhalb der Verwaltungen von Städten und Landkreisen in Sachsen-Anhalt ist immer öfter unter anderem auch im Zusammenhang mit der andauernden Führerscheinumstellung von fehlendem Personal die Rede (die MZ berichtete). Wie sieht es in der Wittenberger Landkreisverwaltung aus? Das Gespräch mit Landrat Christian Tylsch (CDU) führte unser Redakteur Andreas Hübner.
Wie würden Sie die Personalsituation der Kreisverwaltung beschreiben?
Christian Tylsch: Es wird zunehmend schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Die Zahl der Bewerber insgesamt ist rückläufig, während durch vermehrtes altersbedingtes Ausscheiden die Zahl der Ausschreibungen steigt. Befristete Stellen können oft erst nach wiederholter Ausschreibung besetzt werden. Die Kreisverwaltung ist Teil der regionalen Wirtschaftslandschaft und steht als öffentlicher Dienst in direkter Konkurrenz zur Wirtschaft, die teilweise viel mehr Freiheiten in den finanziellen Möglichkeiten haben. Wir sind an ein recht enges Tarifrecht gebunden. Tätigkeiten im öffentlichen Dienst bieten aber auch Vorzüge, wie beispielsweise eine sehr hohe Arbeitsplatzsicherheit oder flexible Arbeitszeitmodelle.Hat sich diese Situation in den jüngsten Jahren verschärft?Die Jahre der Massenarbeitslosigkeit sind lange vorbei, Fachkräfte sind überall gefragt. Dieser Effekt ist seit etwa drei Jahren ganz deutlich zu sehen. Das Echo auf bestimmte Stellenausschreibungen ist schon sehr ernüchternd. Außerdem ist es schwieriger geworden, geeignete Bewerber für die Ausbildung im öffentlichen Dienst zu finden. Das hängt nicht nur mit dem demografischen Wandel zusammen und das weniger junge Leute hier in der Region leben als vor einer Generation, sondern auch mit der Konkurrenzsituation auf dem Markt.
Konnten für das kommende Ausbildungsjahr alle Plätze besetzt werden?Zwar ist die Zahl der Bewerber auch bei den Auszubildenden und Studenten in den vergangenen Jahren insgesamt rückläufig. Aber alle Ausbildungs- und Studienplätze für das kommende Ausbildungsjahr konnten besetzt werden.Wie viele Stellen sind derzeit insgesamt unbesetzt?Momentan sind 25 Stellen unbesetzt. Hier laufen derzeit in den überwiegenden Fällen bereits Auswahlverfahren.
Welche Konsequenz ergibt sich daraus für die Bürgerinnen und Bürger?In den unterbesetzten Bereichen kann es natürlich zu Verzögerungen in der Antragsbearbeitung kommen.Welche Bereiche sind besonders stark betroffen?Es fällt zunehmend schwerer Beamtenstellen, zum Beispiel im Bereich Staatsbürgerrecht, mit entsprechend qualifiziertem Personal zu besetzen. Für diese Arbeit braucht man eine hoch spezialisierte Ausbildung, das kann nicht einfach ein anderer Sachbearbeiter übernehmen. Diese Spezialisten sind ein rares Gut – da braucht man nur mal in die Standesämter ringsum zu schauen. Außerdem sind insbesondere Bauingenieure und Sozialarbeiter schwer zu gewinnen. Im Unterschied zu anderen Verwaltungen ist es uns allerdings erfolgreich gelungen, unsere Arztstellen zu besetzen. Auch beim medizinischen Fachpersonal haben wir große Bewerberzahlen, dass wir da auch größere Auswahlverfahren durchführen können.Verschärfen bestimmte Aufgaben, wie beispielsweise die Führerscheinumstellung, diese Situation?Ja, solche neuen Aufgaben bedingen oftmals eine Nachsteuerung. In diesem speziellen Fall haben wir die Führerscheinstelle personell verstärkt. Durch die Einarbeitungszeit wirken solche Maßnahmen nicht unmittelbar und es brauchte einen Moment, bevor sich eine Verbesserung eingestellt hat. Erheblich mehr wirken sich allerdings die zusätzlichen Aufgaben im Zusammenhang mit Corona oder beispielsweise mit den Ukraine-Flüchtlingen aus. Diese unvorhersehbaren Aufgaben binden eine Vielzahl von Mitarbeitern, die aus der Verwaltung abgezogen werden müssen. Deren reguläre Aufgaben bleiben teilweise in der Zwischenzeit unerledigt oder verzögern sich und führen letztlich auch zu einer Belastung für den Bürger. Solche Engpässe können nur begrenzt durch die Unterstützung anderer Verwaltungen oder durch befristete Einstellung neuer Mitarbeiter kompensiert werden. Wir haben jetzt – neben zahlreichen Sonderaufgaben – lange Zeit auch noch in zwei Krisenstabsstrukturen gearbeitet. In den letzten beiden Jahren allein sind deswegen in der Kreisverwaltung 29.000 Überstunden zusammengekommen.
Mit welchen Maßnahmen wird im Landkreis Wittenberg gegengesteuert?Die Praxis zeigt, dass sich die beste Personalbindung durch unbefristete Arbeitsverträge erzielen lässt. Der Landkreis Wittenberg setzt verstärkt auf Angebote zur Ausbildung sowie auf duale Studienplätze, um Lücken mit geeignetem Personal zu schließen. Darüber hinaus wird auch der Mitarbeiterstamm durch Qualifizierungsmaßnahmen auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet. Stellenausschreibungen werden auf einer Vielzahl von Plattformen veröffentlicht und deutschlandweit wahrgenommen, auch wenn nicht jeder Bewerber immer über eine geeignete Qualifikation verfügt.
Aufgrund tariflicher Vorgaben können nur bedingt zusätzliche finanzielle Anreize gesetzt werden. Im Übrigen bemüht sich die Kreisverwaltung durch Zusatzangebote, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.
Von der Möglichkeit, auch weniger qualifiziertes Personal einzustellen, nimmt die Kreisverwaltung bisher Abstand. Dies soll sicherstellen, dass die Aufgaben der Verwaltung weiterhin in entsprechender Qualität erbracht werden. Es dürfte im Sinne der Bürger sein, dass ihre Anträge weiterhin von entsprechend qualifiziertem Personal bearbeitet werden.
Gibt es Ansätze oder Ideen, um Verwaltungsfachkräfte nach Wittenberg zu locken?Der Kreativität bei der Stellenbesetzung sind durch das Grundgesetz und durch tarifliche Vorgaben Grenzen gesetzt. Vereinfacht ist stets zu beachten, dass jeder Deutsche gleichen Zugang zu unbesetzten Stellen erhält. Bei Nichtberücksichtigung dieser Vorgaben muss die öffentliche Verwaltung stets mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.