Dabrun schwenkt in letzter Minute nach Kemberg um
DABRUN/MZ. - "So eine Eierei. Und das fünf Minuten vor zwölf", zieht eine junge Frau ihr persönliches Fazit aus der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates Dabrun. Der hatte sich am Montagabend in den Räumen der Feuerwehr getroffen, um - so stand es in der Tagesordnung - die Eingemeindung von Dabrun und seiner Ortsteile Melzwig, Boos und Rötzsch in die Lutherstadt Wittenberg und den dazugehörigen Gebietsänderungsvertrag zu beschließen.
Doch dazu kam es nicht. Nach einer langen, auch emotional geführten Debatte hatten sich die Mitglieder des Rates mit zwei Ja- , vier Neinstimmen und einer Enthaltung gegen den Schritt in Richtung Lutherstadt entschieden. Knackpunkt für die Kursänderung in Richtung Kemberg dürften auch die Informationen von Torsten Seelig gewesen sein.
Der Leiter der Verwaltungsgemeinschaft Kemberg, zu der auch Dabrun gehört, hatte das Gremium im Vorfeld über ein Gespräch mit Staatssekretär Rüdiger Erben (SPD) in Magdeburg informiert, wo er die verbindliche Zusage erhielt, dass das Land 90 Prozent der Sollfehlbeträge übernimmt. Auf etwa 1,9 Millionen Euro summiert sich das Defizit der neun Kommunen, die sich zum 1. Januar 2010 freiwillig nach Kemberg eingemeinden lassen wollen. "Und das unabhängig von den für die freiwillige Phase angekündigten Förderungen für die Mitgliedsgemeinden und die pauschale 100 000-Euro-Förderung für die Einheitsgemeinde", so Seelig, der klarstellte, dass eine künftige Einheitsgemeinde Kemberg nicht am Votum der Dabruner scheitert.
Die Anfrage, ob dieses Entschuldungsangebot auch von Wittenberg vorliegt, konnte Bürgermeisterin Ingrid Janott (parteilos) ebenso wenig bejahen wie die Frage, ob die Inhalte der Wittenberger Hauptsatzung, auf die im Gebietsänderungsvertrag Bezug genommen wird, bekannt sind.
Auch der Erhalt der Dabruner Grundschule, zu dem sich Wittenberg im Vertrag verpflichtet, "soweit dem keine gesetzlichen Regelungen oder mangelnder Bedarf entgegenstehen", ist ein Problem.
"Die Kommunen legen die Schuleinzugsgebiete selbst fest. Ohne drohen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass 40 der derzeit 53 Kinder, die die Dabruner Grundschule besuchen, künftig aus dem Verwaltungsbereich Kemberg kommen", so der Verwaltungschef. Würden die angesichts sinkender Schülerzahlen später die stadteigenen Schulen besuchen, sähe es für Dabrun auch vor dem Hintergrund, dass sich im benachbarten Wittenberger Ortsteil Pratau eine Grundschule befindet, nicht so gut aus, fand Klaus Koschek (parteilos). "Da bietet uns Kemberg mehr Sicherheit, zumal an unserer Schule auch der Bestand der Turnhalle hängt", tendierte Uwe Kündiger (Linke) dazu, den Schritt nach Wittenberg doch nicht zu wagen.
Der galt noch am Freitag als fast beschlossene Sache. Da hatte Bürgermeisterin Ingrid Janott gegenüber der MZ erklärt, dass der Gemeinderat "schon wegen der örtlichen Anbindung und der historischen Zusammenhänge" den Schritt nach Wittenberg favorisiere, obwohl sich die Dabruner bei einer Bürgeranhörung im April mit 57 Prozent mehrheitlich für einen Anschluss an Kemberg - für die Lutherstadt votierten lediglich 41,8 Prozent - ausgesprochen hatten.
"Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das las", empörte sich Olaf Hübscher (parteilos). "Die Bürger wollen nach Kemberg, wenn wir uns dagegen entscheiden, kommen wir in Teufels Küche", meinte der Melzwiger. "Wir als Rat haben das Thema Wittenberg selbst auf den Tisch gebracht", konterte Koschek. "Die Frage ist doch, wer mit den Schulden besser umgehen kann, und wo es für Dabrun die besseren Bedingungen gibt. Die Entscheidung ist nicht einfach und ob es letztendlich die Richtige sein wird, werden wir ohnehin frühestens in ein paar Jahren wissen."
Nun ist Eile geboten. Weil der ebenfalls vorbereitete Gebietsvertrag mit Kemberg weder vorlag noch Bestandteil der Tagesordnung war, fällen die Dabruner ihr Votum quasi in letzter Minute. Denn, um die freiwillige Phase noch zu nutzen und sich auch beim Gang nach Kemberg die Eigenständigkeit mit Ortschaftsrat und Ortsbürgermeisterin zu bewahren, muss bis 30. Juni der Beschluss unter Beachtung einer siebentägigen Ladungsfrist, gefallen sein, erklärt Seelig dem Rat, der am 25. Juni, 19 Uhr, sein Votum fällen will.