1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Cranach-Stiftung Wittenberg: Cranach-Stiftung Wittenberg: Friedrich-Wilhelm Junge liest Kurt Kusenberg

Cranach-Stiftung Wittenberg Cranach-Stiftung Wittenberg: Friedrich-Wilhelm Junge liest Kurt Kusenberg

Von michael stolle 11.02.2014, 20:17
Der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge war zu Gast bei der Cranach-Stiftung Wittenberg. Im Malsaal las er Geschichten von Kurt Kusenberg.
Der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge war zu Gast bei der Cranach-Stiftung Wittenberg. Im Malsaal las er Geschichten von Kurt Kusenberg. achim kuhn Lizenz

wittenberg/MZ - Unübersehbar ist die Schar der Literaten, die die deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Neben den Großen - von Thomas Mann bis Brecht, von Hesse bis Böll - gibt es immer wieder Entdeckungen zu machen: Autoren, die die kleine Form pflegten, die journalistisch arbeiteten, die als Herausgeber oder Lektoren die Literatur beförderten. Zu ihnen gehört Kurt Kusenberg (1904 bis 1983). Er studierte Kunstgeschichte, war Journalist und Kunstkritiker, übersetzte die Chansons von Jacques Prevert und die Bildgeschichten von Jean Effel ins Deutsche und war von 1956 bis zu seinem Tode Lektor beim Verlag Rowohlt in Reinbek bei Hamburg. Bekannt wurde er als Herausgeber der „ro ro ro“-Bildmonographien.

Vergnügliche Stunden

Dass Kusenberg launige und skurrile, kuriose und fantastische Kurzgeschichten schrieb, ist heute weniger bekannt. Am Montagabend las der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge im Malsaal der Cranach-Stiftung Wittenberg fünf dieser Geschichten und bereitete einem familiär-knapp erschienenen Publikum zwei vergnügliche Stunden. Der Wittenberger Theologe und Publizist Friedrich Schorlemmer begrüßte Junge launig-humorvoll als alten Freund seit 25 Jahren. Das ist genau das Vierteljahrhundert, in dem Junge das von ihm gegründete „Dresdner Brettl“ - den heutigen Theaterkahn - als Leiter und Schauspieler geprägt hat. Neben zahllosen Theater- und Filmrollen, literarischen Programmen nach Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz und vielen anderen nun also Kurt Kusenberg.

Die erste Geschichte hieß „La Botella“: Eine kleine Küstenstadt im undefinierbaren Süden, von einem Kapitän mit seinem selbst konstruierten Schiff „Erna“ heimgesucht und von ihm wegen nicht stattgefundener Brautfahrt zur wirklichen Erna nicht wieder verlassen, kehrt als Erinnerungsreplik wieder als Miniatur in der Flasche.

„Der letzte Pinselstrich“: Der Maler Regulo malt die Menschen allzu vollendet. Sie entschwinden seiner Leinwand, die Bilder werden zum leeren Gehäuse. Nun verzichtet der Maler auf den letzten Pinselstrich, um die Figuren zu bewahren. Eine doppelbödige Parabel auf die leichten Unvollkommenheiten in der Kunst. Es folgte „Die Belagerung“, eine bitter-makabre Parodie auf die Sinnlosigkeit des Krieges aus dem Jahr 1952. Die Belagerung einer Stadt und das Aushungern ihrer Bewohner misslingen; daraufhin treffen sich heimlich der Feldherr und der Bürgermeister und vereinbaren eine Zusammenarbeit der Belagerer mit den Belagerten.

Stilgefühl für Jazz und Swing

Nach der Pause nochmals zwei Kurzgeschichten, von denen der launige „Wein auf Lebenszeit“ den größten Eindruck machte: Herr Klontig, ein trinkfreudiger Endsiebziger, braucht für sein leer getrunkenes Weinfass Nachschub und erhält diesen durch den Trick der „Reklamation“. Junge las aktiv, prononciert und mit Tempo, mit Sinn für das Setzen der Pointen und mit stimmlich-differenzierter Personencharakteristik. Es war ein Genuss. Ein Genuss waren auch die musikalischen Intermezzi zwischen den Geschichten. Michael Fuchs, seit 30 Jahren Dozent für Jazzpiano an der Dresdner Musikhochschule und langjähriger musikalischer Begleiter auf dem Theaterkahn, erfreute mit dem „Entertainer“ von Scott Joplin, dem „Wild Cat Blues“ sowie mit eigenen Kompositionen, die alle geprägt waren von Poesie und Vitalität und dem Stilgefühl für Jazz und Swing.

Es war ein gelungener Abend im Malsaal. Und es sollte nicht „klimpern“, sondern „rascheln“ - die Künstler verzichteten auf Honorar im Sinne einer Benefizveranstaltung für die Cranach-Stiftung.