Buchvorstellung Buchvorstellung: Alf Christophersen gibt "Luther und wir" heraus

Wittenberg - Es luthert mächtig, auch auf dem Buchmarkt: Das Reformationsjubiläum 2017 scheint enorme kreative Kräfte freizusetzen. Das ist auch Alf Christophersen gelungen.
Der Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg konnte 49 Persönlichkeiten dafür gewinnen, an einem Projekt mitzuwirken, das unlängst unter dem Titel „Luther und wir. 95 x Nachdenken über die Reformation“ im Reclam Verlag erschienen ist.
Nichts Staatstragendes
Noch vor dem Inhalt fällt die Form auf - nichts Staatstragendes ist da, statt dessen ein poppiges Titelbild: Martin Luther in schwarz-weiß-grau auf pinkfarbenem Grund, als Vorlage diente ein Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1529.
In dem Buch „Luther und wir. 95 x Nachdenken über die Reformation“ sind 49 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Musik und Literatur sowie aus dem kirchlichen Bereich vertreten - wobei der Anteil der Theologen vergleichsweise hoch ist. Allen Beiträgen vorangestellt sind ausgewählte Luther-Zitate, mit denen sich die Autoren beschäftigt haben. Erschienen ist das von Alf Christophersen herausgegebene Buch bei Reclam. Es kann u. a. bei Thalia im Wittenberger Arsenal erworben werden (ISBN-13: 978-3150110843).
Zu diesem Zeitpunkt lag der legendäre Thesenanschlag des Reformers bereits zwölf Jahre zurück, Luther war verheiratet und wurde zum dritten Mal Vater - und auf dem Reichstag zu Speyer protestierten protestantische Fürsten und Reichsstädte gegen die Verhängung der Reichsacht gegen den Mann aus Wittenberg.
14 Jahre später verlangte dieser, obschon er Ächtung und Verfolgung aus eigener Erfahrung kannte, dass man die Juden vertreibt, ihre Synagogen und Häuser zerstört.
Luthers Antijudaismus spielt in Christophersens Buch durchaus eine Rolle, wenn etwa Michael Wolffsohn gesteht: „Mit dem Mann Martin Luther, dem Nicht-, dann aber doch und bis ans Lebensende Antisemiten, auch Anti-Moslem, diesem verstockten Intoleranten, habe ich, nicht nur als Jude, so manches Problem...“
Dem Beitrag des 1947 in Tel Aviv geborenen Historikers und Publizisten, der von 1981 bis 2012 an der Bundeswehr-Universität in München Neuere Geschichte lehrte, sind zwei Luther-Zitate vorangestellt, die Ausgangs- und Bezugspunkt für seine Ausführungen wurden, eines geht so: „Ich halte und will’s allezeit halten mit der Seite, die Aufruhr erleidet, wie unrecht ihre Sache auch sein mag, und will wider die Seite sein, die Aufruhr macht, wie recht ihre Sache auch immer sei, weil Aufruhr nicht kann ohne unschuldiges Blut und Schaden geschehen.“
Dass Luther streitbar war und es durchaus darauf anlegte, Anhänger und Zuschauer in seine Überlegungen und Kämpfe einzubeziehen, schreibt in seinem Vorwort zum Buch Theologe Christophersen und auch, dass, wer sich „in ein substantielles Verhältnis zur Reformation setzen will“, um die Einsicht nicht herum komme, von Luther beeinflusst zu sein.
So wird also ein umfängliches „Bezugssystem“ aufgerufen, bei dem die Anzahl der Thesen lediglich als Ausgangspunkt dient, denn statt diese den Autoren vorzulegen, hat Christophersen 95 Zitate aus Luthers Gesamtwerk ausgewählt und - bis auf einige Ausnahmen - auch selbst beziehungsreich den eingeladenen Schreibern zugewiesen.
Christian Thielemann etwa, Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Wagner-Kenner, setzt sich mit dem Zitat „Singen ist die schönste Kunst und Übung. Wer singt hat nichts zu tun mit der Welt“ auseinander. Dass man als Leser da einiges über die Musik(Sprache) lernen kann, liegt auf der Hand.
Thielemanns Reflexionen, welche den Reigen der 49 eröffnen, stehen zugleich an der Spitze der Beiträge im ersten Themenkomplex, der mit „Die Kraft des Wortes und der Musik“ überschrieben ist. Im zweiten Abschnitt widmen sich Zeitgenossen wie der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge oder Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, dem gefährdeten Menschen und der Gnade Gottes.
Es folgen „Evangelium, Gesetz und Gericht“ sowie u. a. das Kapitel „Existenz in Gemeinschaft“, in dem auch der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz und eben Michael Wolffsohn zu Wort kommen. Dieser kommt zu dem Schluss, dass Luthers „religiös begründetes Plädoyer für Gewaltlosigkeit eher visionär, pazifistisch, utopisch“ sei und findet: „So viel (und noch mehr) steckt in so wenigen Lutherworten.“
Das letzte Wort hat der Philosoph Volker Gerhardt, der betont: „...die Vernunft hat der Anwalt aller Menschen, auch die der Nicht- und Andersgläubigen, zu sein.“ Mag das auch „gelegentlich als komödiantisch“ erscheinen, so beruhe doch auf dem „Ernst dieses Anspruchs“ die „Hoffnung auf Frieden in der Welt, für die der Mensch Verantwortung zu tragen hat“.
Und dem, so Gerhardt, würde Luther, 500 Jahre nach der Reformation, wohl nicht widersprechen.
Lesung ist geplant
Es ist ein interessantes Lesebuch, das Christophersen zum Jubeljahr auf den Weg gebracht hat und bei dessen Lektüre man auch jenen ein wenig begegnet, die ihren Beitrag geleistet haben. Kleines Manko: Es finden sich keine biografische Daten zu den Autoren, wozu der Herausgeber unter Hinweis auf deren Prominenz und den Umfang des Buches sagt: „Das hätte den Rahmen gesprengt.“
Ansonsten plant er eine Lesung, um das Werk bekannt zu machen. Geht es nach ihm, beteiligt sich daran auch eine oder einer der 49 Mitwirkenden. (mz)