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Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars: Tür zu Wissen und Schönheit

Von Stefanie Hommers 05.12.2014, 09:56
Matthias Piontek mit einem Exemplar von Luthers Auslegungen der Epistel und Evangelien des Advents
Matthias Piontek mit einem Exemplar von Luthers Auslegungen der Epistel und Evangelien des Advents Kuhn Lizenz

Wittenberg - Wer wissen will, muss warten. Ein wenig jedenfalls. Zwar ist die Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars für jedermann zugänglich, geöffnet wird jedoch erst auf ein Klingeln hin - dann aber kommt höchstpersönlich der Herr über 160.000 Bücher die Treppe der Interimsherberge im Zeughaus herab. Oder eine seiner Mitarbeiterinnen. Matthias Piontek leitet mit seinem insgesamt vierköpfigen Team seit viereinhalb Jahren eine Bücherei, die Besucher aus aller Welt anzieht.

Forscher aus den USA und Japan sind schon angereist, um - mit äußerster Vorsicht natürlich - in aufwändig verzierten, mittelalterlichen Handschriften zu blättern. Ein Gast aus Ghana hielt hier schon die Dissertation seines Landsmannes Anton Wilhelm Amo in Händen, jenes ersten bekannten afrikanischen Philosophen, der 1734 in Wittenberg promovierte.

Jedes Jahr im Advent werden Türchen geöffnet. Dahinter verbergen sich Schokolade, Spielzeug aber auch Parfüms und andere Dinge, die die Zeit bis Heiligabend versüßen sollen.

Die Mitteldeutsche Zeitung geht mit Ihnen, liebe Leser, auch wieder auf Entdeckungsreise von Tür zu Tür. Waren Sie es selbst, die uns im vergangenen Dezember die Türen zu Ihren Küchen öffneten und uns so manch „geheimes“ Familienrezept und dessen Geschichte offenbarten, wollen wir in diesem Jahr ganz ungewöhnliche Türen öffnen und nicht nur das, was sich dahinter verbirgt, ins Licht der Öffentlichkeit rücken, sondern auch all diejenigen, die uns die Türen öffnen und Einblicke in ihre nicht ganz so alltägliche Welt gewähren.

Einen Pfarrer aus China konnte Piontek im Rahmen einer Führung mit einer chinesischen Ausgabe des Neuen Testamentes aus dem Jahre 1710 entzücken, und immer wieder wollen Wissenschaftler sowie interessierte Laien Bücher aus dem Bestand der früheren Bibliothek Martin Luthers höchstpersönlich in Augenschein nehmen und die handschriftlichen Kommentare des Reformators entziffern.

Theologische Literatur

Neben den historischen Schätzen birgt die Bücherei zahlreiche aktuelle theologische Literatur, die im Wesentlichen von den Vikaren des Evangelischen Predigerseminars im Rahmen ihrer Ausbildung genutzt wird. „Wir öffnen jedem die Tür zum Wissen“, sagt Piontek.

Mit der offenen Tür ist es in diesem Fall freilich nicht getan, eine gehörige Portion Vorwissen ist vielfach vonnöten, um sich neue Erkenntnisse überhaupt erlesen zu können, sind doch viele der mehrheitlich theologischen und reformationsgeschichtlichen Schriften aus dem Altbestand der Bibliothek in lateinischer, griechischer oder hebräischer Sprache verfasst. Für Piontek ist das kein Hindernis. Der in Nordhausen geborene 52-Jährige hat Theologie studiert und war fast 20 Jahre als evangelischer Gemeindepfarrer tätig.

Doch Piontek kennt nicht nur seinen Luther und die lateinische Sprache. Bevor er die Stelle in Wittenberg antrat, hat der Theologe ein Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften absolviert, kennt sich, was Inhalte und Systematiken angeht, bestens aus. „Durch diese Arbeit hat sich auch mir noch einmal eine neue Tür geöffnet“, sagt er.

Bücher, Drucke, Dissertationen

Es sind genauer gesagt und ganz wörtlich zu nehmen wechselnde Türen, in wechselnden Domizilen, die sich dem Bibliothekar wie auch den Besuchern öffnen. Vor gut einem Jahr ist der ganze Bücherbestand vom traditionsreichen Augusteum neben dem Lutherhaus ins Zeughaus gewandert, nach Abschluss des Schlossumbaus werden die 160.000 Bücher mitsamt zwölf mittelalterlichen Handschriften, 500 Inkunabeln, 10.000 Drucken des 16. und 25.000 des 17. Jahrhunderts sowie 10.000 Wittenberger Dissertationen und 4.000 Leichenpredigten und nicht zuletzt einer Kunstsammlung von Graphiken und rund 70 Gemälden mit Porträts von Professoren, Kurfürsten und Reformatoren noch einmal ein- und ausgepackt, um fortan im Schloss zusammen mit Beständen des Lutherhauses die reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek zu bilden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über den Wegzug aus dem Augusteum.

Der Wegzug aus dem Augusteum sei schon „ein Traditionsabbruch“ findet Piontek. Immerhin hatte die Bibliothek hier seit 1598 ihre Heimstatt. Andererseits schließe sich auch ein Kreis. Denn die erste Universitätsbibliothek sei schließlich auch im Schloss untergebracht gewesen. Doch auch vor Jahrhunderten schon waren Bücher repräsentative Verschiebemasse. Die erste, auf das Wirken Georg Spalatins zurückgehende Sammlung befindet sich nämlich seit der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) in Jena. Dieses Ereignis hätte beinahe das Ende der Universität bedeutet und forderte von der Bibliothek einen mühsamen Neubeginn. Dennoch wuchs sie bis 1817 auf die stattliche Zahl von zirka 50.000 Bänden an.

Bestand dezimiert sich

Nach dem Aus für die Wittenberger Universität wurden von 1823 bis 1850 etwa zwei Drittel des Bestandes nach Halle transportiert. Die eigentliche Universitätsbibliothek blieb indes weitgehend verschont, da nach königlichem Erlass der theologische und philologische Teil zum Gebrauch des neugegründeten Predigerseminars in Wittenberg verbleiben sollte. Dank diverser Schenkungen und Neuankäufe zählt sie heute zu den größten Kirchenbibliotheken Deutschlands und zeigt sich der Moderne aufgeschlossen. Etwa 30.000 Bücher sind bereits digitalisiert. Dass erleichtere Forschern die Arbeit und könne dennoch den Blick aufs Original nicht ersetzen, sagt Piontek und zeigt zum Beweis sein Lieblingsstück, eine Ausgabe der „Sentenzen“ von Petrus Lombardus aus dem Jahre 1467.

Leuchtkraft der Farben ununterbrochen

Die Leuchtkraft der Farben dieser aufwändig gestalteten mittelalterlichen Handschrift scheint auch mehr als 500 Jahre nach ihrer Entstehung ungebrochen; Verzierungen zeigen Pfauen von betörender Schönheit. Die Vögel seien typisch für die Leipziger Schreiberwerkstatt, weshalb diese den Namen „Pfauenwerkstatt“ trage, erzählt Piontek. Denn namentlich kennt man den oder die Gestalter des mehr als 500 Seiten umfassenden Werkes nicht. Wer die Arbeit des unbekannten Künstlers betrachtet, merkt indes, dass die Bibliothek nicht allein eine Tür zum Wissen öffnet, sondern auch zur Schönheit. (mz)