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Altstadt Wittenberg Altstadt Wittenberg: Welche Fußgängerzone?

Von Irina Steinmann 23.01.2017, 10:40
Die Beschilderung weist die Fußgängerzone in Wittenbergs Innenstadt aus.
Die Beschilderung weist die Fußgängerzone in Wittenbergs Innenstadt aus. Baumbach

Wittenberg - Vor den Fenstern der MZ-Redaktion ist eine ganze Menge los. Nicht selten im Minutentakt preschen Fahrzeuge über das Pflaster der Coswiger Straße. Meist sind es ziemlich fette Limousinen, die die Fußgänger an die Ränder drängen. (Gut, dass wenigstens ordentlich geräumt ist.)

Die Coswiger Straße war bisher, wie auch fast die gesamte Altstadt, Fußgängerzone. Ist uns da was entgangen? Nein, versichert Stadt-Sprecherin Karina Austermann, „der Status ist unverändert“. Das kann man nun so oder so sehen.

Es soll aber lediglich heißen: Änderungen würden eines Stadtratsbeschlusses bedürfen. Sollte also, und noch dazu zu schnell, unberechtigt in der Fußgängerzone herumgefahren werden, wäre das „Missbrauch“, sagt Austermann.

Wen stört’s? Seit die Stadt in seltener Generosität die zuvor befristeten Lieferzeiten komplett freigegeben hat - das gilt seit August 2010 - hat sich die Zahl der „Lieferanten“, die nur mal schnell Geld beim Bäcker oder Geldautomaten abliefern/abholen müssen, deutlich erhöht. Und mit ihr auch die Zahl hysterischer Eltern, die ihre Kinder von der „Straße“ zurückrufen.

Man kann es ihnen nicht verdenken, sicher ist sicher. Auswärtige Fußgänger benutzen sowieso den Gehweg, da ihnen angesichts der Zustände gar nicht bewusst ist, dass sie sich theoretisch in einer Zone befinden, in der sie herumlaufen dürfen, wie sie möchten.

Auswärtige Autofahrer wiederum fahren meist langsam, da sie glauben, dass die entsprechenden Schilder auch in Wittenberg gelten.

Auch Fahrzeuge städtischer Unternehmen, wie etwa das Essen auf Rädern aus der Küche des Senioren- und Pflegezentrums am Lerchenberg, scheren sich nicht immer um die Fußgängerzone, man hat’s halt eilig. Kürzlich, am 16. Januar um 14.44 Uhr, raste sogar mal die Polizei vorbei. Aber das war ganz bestimmt ein Einsatz...

Die Stadt Wittenberg kündigte unterdessen als Reaktion auf die MZ-Anfrage an, „verstärkt kontrollieren“ zu wollen. „Wir haben heute vereinbart, gemeinsam Kontrollen zu machen“, sagte Karina Austermann am Mittwoch (18. Januar) mit Blick auf den städtischen Ordnungsdienst und die Polizei.

Zudem werde man das Thema im Sicherheitsrat behandeln. Denn auch nach Auffassung der Stadt komme es in der Fußgängerzone „vermehrt zu Geschwindigkeitsüberschreitungen“ und der Ein- bzw. Durchfahrt von Fahrzeugen, „die da nicht hingehören“, wie Austermann sagte.

Nach Auskunft der Polizei kontrollieren deren Regionalbereichsbeamte regelmäßig. Die Beamten seien „zwei bis dreimal täglich zu Fuß oder mit Streifenwagen“ in der Altstadt unterwegs, sagte Sprecherin Cornelia Dieke.

Die Bilanz für den laufenden Monat bis einschließlich 18. Januar: 17 Verstöße wegen Parkens, 15 unrechtmäßige Einfahrten sowie ebenfalls 15 Verstöße gegen die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit. Die Situation sei nach Wahrnehmung der Polizei allerdings unverändert. Schlecht.

In einer Fußgängerzone haben Fußgänger Vorrang vor allen anderen Verkehrsteilnehmern - und Autos im Grundsatz nichts zu suchen. Diejenigen Fahrzeuge, die aufgrund von Ausnahmeregelungen (z. B. Lieferverkehr) doch dort herumfahren dürfen, müssen Schrittgeschwindigkeit fahren - das entspricht selbst im Sauseschritt nicht mehr als fünf bis sieben Kilometer pro Stunde. Die erste Fußgängerzone Europas wurde 1953 in Rotterdam eingerichtet, in Westdeutschland war 1953 Kassel, in der DDR in den frühen 60ern Magdeburg Vorreiter.

„In keiner anderen Stadt, die ich kenne, fahren so viele Kraftfahrzeuge in einer Fußgängerzone. Es gibt wohl auch keine festgelegten Lieferzeiten? Jeder kann eine Ausnahmegenehmigung - natürlich gegen Geld - bekommen. Vor allem, wenn man mit Kindern unterwegs ist, macht das keinen Spaß, weil man sich ständig davor hüten muss, nicht von einem Auto angefahren zu werden. (...) Das ist einfach nur nervig!“, ärgerte sich eine MZ-Leserbriefschreiberin. In einem Punkt freilich irrte die Dame - oder kannte Wittenberg nicht: Sie schrieb schließlich über Halle.

Vorstöße, die Fußgängerzone abzuschaffen oder zu verkleinern, sind aus dem politischen Raum derzeit nicht zu vernehmen. Das wäre 2017 wohl auch keine gute Idee: Gerade im Reformationsjubiläumsjahr dürfte die Zahl der Fußgänger - und das war in den zurückliegenden Wochen an manchen Tagen ja schon der Fall - erheblich zunehmen und sich Passanten kaum mehr gefahrlos auf die Gehwege zurückdrängen lassen.

Dass die Oberflächengestaltung der Wittenberger Fußgängerzone durch die optische Unterteilung in Gehweg und Fahrbahn zum Herumfahren beziehungsweise sich lieber an die Ränder drängen geradezu einlädt, ist eine andere Geschichte. (mz)