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Abschied in Abtsdorf Abschied in Abtsdorf: Kirche zu verkaufen

Von Corinna Nitz 25.05.2018, 15:34
1996 wurde die Kirche für die kleine Evangelisch-methodistische Gemeinde von Abtsdorf fertig. Seither sind die Mitgliederzahlen (beispielsweise durch den Wegzug der Kinder) soweit zurückgegangen, dass das Gotteshaus als solches nicht mehr zu halten ist. Am 27. Mai soll es in einem letzten Gottesdienst entwidmet werden.
1996 wurde die Kirche für die kleine Evangelisch-methodistische Gemeinde von Abtsdorf fertig. Seither sind die Mitgliederzahlen (beispielsweise durch den Wegzug der Kinder) soweit zurückgegangen, dass das Gotteshaus als solches nicht mehr zu halten ist. Am 27. Mai soll es in einem letzten Gottesdienst entwidmet werden. Thomas Klitzsch

Abtsdorf - „Wir müssen Abschied nehmen...“ So beginnen Traueranzeigen, so ist es seit kurzem auf Zetteln in öffentlichen Schaukästen von Abtsdorf zu lesen. Tatsächlich sei, was am Sonntag passiert, „vergleichbar mit einer Beerdigung, die umso schmerzlicher ist, je jünger der Mensch ist, den man zu Grabe trägt“, sagt Stefan Gerisch von der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) in Sachsen-Anhalt und Pastor im zuständigen Gemeindebezirk Halle am Mittwoch auf eine Anfrage der MZ.

Nun wird in Abtsdorf am 27. Mai kein Mensch zu Grabe getragen, aber Menschen begraben Hoffnungen, denn sie müssen Abschied nehmen - von ihrer Kirche.

Mit viel Herzblut

Die ist mit gut 22 Jahren noch sehr jung und hat doch keine Zukunft - jedenfalls nicht in der einst geplanten Form - einerseits als geistliches Zentrum in einem Dorf, das nie eine eigene Kirche hatte, und andererseits als offene Begegnungsstätte für den Ort. Was die geistliche Mitte betrifft, so mag es generell an Gläubigen mangeln.

Aber auch die zu keinem Zeitpunkt besonders große methodistische Gemeinschaft von Abtsdorf ist inzwischen auf zwei, drei Mitglieder zusammengeschnurrt. Zu ihnen gehört Harry Moszejewski, er war mal Kirchenvorstand, und er hat sich nicht nur mit Herzblut, wie er zur MZ sagt, sondern auch mit privaten Mitteln für den Kirchbau Mitte der 1990er engagiert.

Der schlug ehedem mit einer halben Million Mark zu Buche. Bis heute, sagt Moszejewski, gebe es noch Verbindlichkeiten. Der Mann wird demnächst 87 Jahre alt, was jetzt passiert, geht ihm erkennbar nahe. Er will darum am Sonntag, wenn in einem letzten Gottesdienst die Kirche entwidmet wird, auch nichts sagen, weil er befürchtet, von Tränen übermannt zu werden. Ansonsten rechnet er damit, dass die Kirche voll wird. Das wiederum kann dann als Ironie des Schicksals bezeichnet werden.

Einen engagierten Partner zur Belebung ihres Kirchgebäudes hatte die geschrumpfte Gemeinde in den letzten Jahren im örtlichen Dorfverein. Wie Ortsbürgermeister Marcus Wernicke auf Nachfrage der MZ erklärt, sei der zuständige Superintendent (EmK) einst an den Verein herangetreten. Daraufhin habe der Verein das Gebäude, übrigens ein architektonisch reizvolles und ausgesucht idyllisch gelegenes Objekt, „als Gemeinschaftshaus genutzt“.

Zuletzt gab es Wernicke zufolge sogar Jugendweihefeiern in der kleinen Kirche. Abgesehen davon habe man sich auch mit um die Pflege des Objektes gekümmert. Aber, so der Ortsbürgermeister, „die Fixkosten sind einfach zu hoch für so einen kleinen Verein“.

Im Rahmen des Gottesdienstes am 27. Mai um 15.30 Uhr in der Abtsdorfer Kirche werden die sakralen Gegenstände (Kreuz, Abendmahlsgerät u. a.) entwidmet und nach Auskunft von Pastor Stefan Gerisch (Halle) aus der Kirche getragen - als Zeichen dafür, dass sie dort keine sakrale Funktion mehr haben. Sie sollen aber auf andere Orte verteilt werden. Leiten werde den Gottesdienst der zuständige EmK-Superintendent Ringeis.

Nun ist es nicht so, dass nicht auch nach anderen Lösungen gesucht worden wäre. Die Entwidmung und damit einhergehend ein angestrebter Verkauf der Kirche kann wohl nur als Ultima Ratio gesehen werden. Nach Auskunft von Pastor Gerisch in Halle habe der Superintendent Stephan Ringeis das Gespräch mit verschiedenen Stellen gesucht. Die Rede ist von der Kommune - ebenso wie von Matthias Schollmeyer.

Der Pfarrer in dem zum Evangelischen Kirchenkreis Wittenberg gehörenden Kirchspiel Zahna sagt zur MZ: „Wir wurden gefragt, ob wir das Gebäude übernehmen wollen.“ Allerdings habe man „eigene Probleme“. Schollmeyer, zu dessen Beritt zwölf Gemeinden gehören, spricht von rückläufigen Mitgliederzahlen. Über einen Mangel an Kirchengebäuden kann er hingegen nicht klagen, aktuell bereite ihm die Rahnsdorfer Kirche „große Sorgen“, sie muss dringend saniert werden (die MZ berichtete).

Spenden aus den USA

Bleibt hier die Frage, ob Menschen (in der Kirche zumal) sich womöglich von dem Gedanken verabschieden müssen, für die Ewigkeit zu bauen? Oder haben sie im Fall von Abtsdorf vielleicht nach den Sternen gegriffen? Letzteres verneint Gerisch mit Nachdruck. Er spricht stattdessen von „Menschen, die in ihren Herzen der Überzeugung waren, dass Gott sie in eine Gemeinschaft ruft“. Im Übrigen sei die Abtsdorfer Gemeinde damals „ja nicht im luftleeren Raum gewesen“, die Entscheidung zum Kirchenbau habe seinerzeit die ostdeutsche jährliche Konferenz der EmK getroffen.

Und dem Vernehmen nach ließen sich einst auch andere von der Idee begeistern, laut Gerisch kamen Spenden damals sogar aus den USA.

Einer trage des andern Last

Was nun die Verbindlichkeiten angeht, so trügen die Gemeindebezirke die Last. Gerisch nennt keine Zahlen - auch nicht zu dem ermittelten Verkehrswert bzw. Verkaufspreis. Allerdings habe sich bereits ein Interessent gemeldet. Die Verhandlungen führe der Superintendent. Gerisch geht davon aus, „dass es sicherlich demnächst zu einem Abschluss kommt“. Und deswegen wird die Kirche am 27. Mai entwidmet. Gerisch rechnet damit, dass Abtsdorfer und auch Kirchenglieder aus Halle und Dessau zu diesem letzten Gottesdienst kommen werden. Aus Dessau, vom Bauhaus, kam damals mit Dieter Bankert auch der Architekt für den Kirchenbau von Abtsdorf.

Und jetzt? Pastor Stefan Gerisch, der den Vergleich mit der Trauerfeier gebracht hat, sagt wenig später noch dies: „Es ist sinnvoll, nicht beim Gestern zu bleiben.“ Möge es so sein.

(mz)

Im Jahr 2000 wurde im Garten der Abtsdorfer Kirche noch ein Glockenturm errichtet. Wie es hieß, hing die Glocke zuvor in Radeberg, Sachsen.
Im Jahr 2000 wurde im Garten der Abtsdorfer Kirche noch ein Glockenturm errichtet. Wie es hieß, hing die Glocke zuvor in Radeberg, Sachsen.
Klitzsch