Abriss des KTC Wittenberg Abriss des KTC Wittenberg: Abgesang aufs Haus der Schaffenden

Wittenberg - Thomas Glaubig etwa stieß in seiner Sammlung auf zwei Postkarten, die das 1957 eröffnete „Haus der Schaffenden“ von innen und von außen zeigen.
Als Verwaltungsmitarbeiterin war MZ-Leserin Ruth Böttcher damals unmittelbar an der Schaffung des neuen Veranstaltungshauses beteiligt, das erst später in „Maxim Gorki“ und nach der Wende dann in KTC umbenannt wurde. Ihre Erinnerungen an die Anfänge hat sie der MZ zur Verfügung gestellt: „Als am 29. April 1957 das von den Wittenbergern schon sehnsüchtig erwartete Haus der Schaffenden endlich eingeweiht werden konnte, waren etliche Jahre großer Anstrengungen vergangen. Das Kulturhaus entstand, genau wie in diesen damaligen Jahren auch das Schwimmbad in Piesteritz, im Rahmen des ,Nationalen Aufbauwerkes’ NAW.
„Freiwillige“ Leistungen
Dieser Begriff klingt den älteren ehemaligen DDR-Bewohnern sicher noch in den Ohren. Beim Nationalen Aufbauwerk ging es in der gesamten DDR um die Koordinierung der ,freiwilligen’ Arbeits- und Finanzleistungen der Betriebe und von Bürgern aller Schichten und Berufe. Für die sozialistische Gesellschaft sollten außerhalb der gesetzlichen Arbeitszeit unentgeltlich Arbeitsstunden geleistet werden. Auch wurden die Betriebe kräftig zur Kasse gebeten. In Wittenberg war in der Plankommission des Rates des Kreises ein Beauftragter für das NAW zuständig.
Rückblickend sei nun gesagt, dass unter den damaligen Bedingungen das Werden des Kulturhauses sehr schwierig war. Dieses Jahrzehnt war noch überschattet vom vergangenen Krieg und den einhergehenden wirtschaftlichen, materiellen und Alltagsschwierigkeiten sowie den politischen Problemen.
Geld oder Material
Zitieren kann ich aus einem Artikel des ,Wittenberger Rundblicks’ Nr. 12 vom Dezember 1956, in dem mit dem Verantwortlichen für den Bau Herrn Noack gesprochen wird. Da heißt es: ,Sein unermüdliches Wirken kann nur der voll anerkennen, der ohne Materialzuteilung bauen muss. War das Geld vorhanden, dann fehlte es an Material.
Das KTC wird seit gut einem Jahr durch die beiden neuen Veranstaltungshäuser Stadthaus und Exerzierhalle nördlich des Arsenalplatzes ersetzt. Auf dem Gelände des überflüssig gewordenen KTC soll ab kommendem Frühjahr wie berichtet bis August 2016 der Rundbau für das 2017-Panorama des Künstlers Yadegar Asisi entstehen.
Errichtet wird die Rotunde für etwa 2,5 Millionen Euro von der kommunalen Gesellschaft Wigewe, die den Bau dann an die eigens gegründete Betreibergesellschaft vermietet.
War beides gegeben, dann waren die Arbeitskräfte nicht da. … Wenn das Kulturhaus nahezu zweieinhalb Jahre zur Fertigstellung gebraucht hat, … so lag es daran, dass es nur wenige Willige gab, die das begonnene Werk vollenden halfen.’
Herr Noack konnte sich auf einige Getreue stützen, unter anderem auf die Firma Gresse & Co., die Handwerksgenossenschaften und den Jugendwerkhof ,Ernst Thälmann’. Insgesamt 100 000 DM konnten aus örtlichen Reserven in dieses Haus eingebaut werden. 320.000 DM stellte der Bezirk aus Lottomitteln zur Verfügung und 55 000 DM für die Inneneinrichtung kamen aus dem Kulturfonds der DDR. Alle übrigen Mittel wurden durch Spenden aufgebracht.
Hilfe von Schürzen-Schmidt
800.000 DM kostete insgesamt die Fertigstellung des Hauses der Schaffenden. Es ging nicht nur um den Bau, sondern auch die Ausgestaltung. Herr Schmidt von der Textilgenossenschaft half sehr, was die Beschaffung der Stoffe (Gardinen usw.) betraf.
Die alten Wittenberger kennen sicher noch den Begriff ,Schürzen-Schmidt’, da er einen Betrieb hatte, in dem Frauen die Perlonschürzen nähten und aus Resten als Nebenprodukt noch die beliebten Einkaufsbeutel. (Die Einkaufsbeutel sind heutzutage statt der der gängigen umweltschädlichen Plastebeutel sehr empfehlenswert.)
Für viele Fragen der Gestaltung und Inneneinrichtung sowie Farbzusammenstellungen konnten freischaffende Künstler, die Maler Walter Mamat und Karl-Heinz Wenzel sowie der Graphiker Karl Thewalt (später Professor), gewonnen werden.
Der Beauftragte für das NAW Herr Kappitz war ständig im Einsatz, um die Betriebe mit Leistungen finanzieller und materieller Art zu gewinnen. Bei der endlich erfolgten Einweihung am 29. April 1957 wurde vielen der Initiatoren und Ausführenden gedankt. Das Werk war gelungen.
Wildschweine im Küchentrakt
Auch wenn heute recht burschikos über das Verschwinden des Kulturhauses geredet wird, so sollten wir nicht vergessen, was es für die Bürger und Gäste einmal bedeutete. Das Kulturhaus war in den folgenden Jahrzehnten eine Stätte des Treffens, der Entspannung und Freude. Außer unzähligen festlichen Treffen, kulturellen Veranstaltungen und ,Schwofs’ entwickelte sich hier ein reges Klubleben. (Kurios: Sogar Wildschweine hatten sich mal im Küchentrakt und den angrenzenden Räumen herumgetrieben.)
Unter unglaublich schwierigen Bedingungen, mit heute nicht vergleichbaren Problemen und unter großer Anteilnahme und Mithilfe der Bürger, war das Kulturhaus entstanden. Mit diesem kleinen Rückblick erfahren die jüngeren Generationen etwas über die Stadtgeschichte und die älteren Bürger denken vielleicht gern noch mal zurück an vom Alltag gelöste schöne Stunden im ,Gorki’. Die Abrissbirne ist nun angerückt. Halten wir also inne, eine Gedenkminute ist es allemal wert nach dem Motto ,Alles hat seine Zeit’.“ (mz)