Abriss bei Wikana Abriss bei Wikana: Kesselhaus ist Geschichte, Maschinenhaus hat Zukunft

Wittenberg - Von der Elbe steigt Flussgeruch auf und vermischt sich mit Keksduft, die schräge Mischung schlägt den wenigen Passanten entgegen, die zu dieser Jahreszeit auf der auch sonst versteckten Elbpromenade der Lutherstadt unterwegs sind.
Spätestens auf Höhe von Wikana stutzt der Flaneur. Da war doch mal was? Um die Ecke nimmt „Caruso“ die letzten Bissen vom alten Kesselhaus der Keksfabrik. Der Abrissbagger hat ganze Arbeit geleistet. Das mehr als 27 Meter hohe Gebäude, das fast ein Jahrhundert lang Wittenbergs Skyline von Westen her mit prägte, liegt in Trümmern.
Der Abriss mit Ansage - bereits 2016 hatte das Unternehmen seine lang gehegten Pläne nun für dieses Jahr angekündigt - lässt im Internet noch einmal, quasi posthum, die Debatte wogen. Nutzer träumen sich auf einen Indoorspielplatz mit Kletterwand, der hier hätte, hätte Fahrradkette entstehen können oder behaupten zynisch: Tja, wenn der Luther hier Kekse gegessen hätte...
Hat er aber nicht. 111 Jahre alt ist Wikana, Nachfolgerin der 1906 gegründeten Chocoladenfabrik Kant, und sich eigenen Angaben zufolge der Verantwortung für die Historie durchaus bewusst. „Unser Hauptmetier“, sagt Geschäftsführerin Yvonne Böhm mit Blick auf Nutzungen, die das - auch Heizhaus genannte - Gebäude vielleicht hätten retten können, „ist aber das Kekse backen.“
Das Kesselhaus steht - stand, muss man jetzt sagen - seit Jahrzehnten ungenutzt da, 2014 hielt das Unternehmen dann aber die lang ersehnte Abrissgenehmigung in den Händen, nachdem 2007 auch noch der Orkan „Kyrill“ stark daran herumgezerrt hatte, wie Luftbilder von der ruinösen Dachlandschaft zeigen.
Es sei Wikana schwergefallen, sich vom Kesselhaus zu trennen, man habe aber „keine Nutzungsmöglichkeit“ gesehen, bekräftigte Böhm in dieser Woche frühere Aussagen. Pläne des Berliners - und gebürtigen Wittenbergers - Mathias Tietke, dort dank erst noch zu findender finanzkräftiger Partner ein Museum à la Tate Modern oder auch für Eisenbahntechnik einzurichten, hatten sich da schon lange zerschlagen.
2,5 Millionen Euro nannte Wikana selbst in der jüngsten Facebook-Debatte an erforderlichen Sanierungskosten. Das aber ist nun alles Staub von gestern. Der aufwändige Abrissprozess, der Böhm zufolge schon vor mehreren Monaten begonnen worden war und unter anderem Änderungen an der Innenkonstruktion erforderlich gemacht hatte, um bei den eigentlichen Arbeiten nichts und niemanden zu gefährden, ist so gut wie abgeschlossen.
Neu bauen wolle Wikana auf der Fläche nicht, sagte die Geschäftsführerin der MZ.
Da das Kesselhaus im Land Sachsen-Anhalt als Denkmal eingestuft war, war die Abrissgenehmigung mit Auflagen versehen worden. Das Gebäude war innen und außen zu dokumentieren, außerdem sollten die figürlichen Backsteinreliefs der Fassade erhalten bleiben. „Das“, beteuert indes Yvonne Böhm, „hätten wir eh gemacht, weil die so wunderschön sind.“
Die „Putten“, wie Böhm sie nennt, wurden geborgen, allein daran hätten ein bis zwei Mann mehrere Wochen lang gearbeitet. Das größte der Reliefs des Künstlers Richard Bauroth habe einen Durchmesser von 2,15 Metern, es zeigt einen Jungen mit „Kant“-Schokolade, 15 kleinere (1,1 x 0,6 Meter) Figuren aus dessen Werkstatt seien ebenfalls geborgen und eingelagert worden.
Der „Affe mit Kakao“, der „Junge mit Ähren“ und einige andere sollen einen neuen Platz auf dem Werksgelände finden, sei es an der nun frei liegenden Wand, sei es im Maschinenhaus.
Anders als das Kesselhaus wird das deutlich kleinere Maschinenhaus nebenan nämlich eine Zukunft haben. Das Gebäude ist bereits eingerüstet. Noch in diesem Jahr will Wikana dort die erste von drei Etagen hergerichtet haben mit Platz für den Werksverkauf, der bislang in einer Butze an der Dessauer Straße stattfindet, und einem kleinen Café.
Später einmal sollen dort auch eine Schaubäckerei und das Werksmuseum eingerichtet werden. Bedenken, ob Wikana allein das gesamte Haus ausfüllen kann, hätten sich inzwischen zerstreut, es werden also, anders als zwischenzeitlich geplant, keine Dritten mit einziehen.
Nicht mehr in diesem Jahr, aber vielleicht ja schon im nächsten will sich der Wittenberger Keksbäcker zudem einen direkten Zugang zur Elbpromenade zulegen. Bisher muss man vom Fluss einen großen Bogen über die Rheinstraße schlagen, um zu Wikana zu gelangen.
Zielgruppe, sagt Yvonne Böhm, seien natürlich die Süßschnäbel unter den Elberadlern. Dass es vom Café im Maschinenhaus einen direkten Blick über die Flusslandschaft geben soll - ist eine positive Abrissfolge. Bisher stand der Koloss davor. (mz)


