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Standort-Schließungen Standort-Schließungen: Was wird aus Weißenfels ohne Bundeswehr?

Von Alexander schierholz 20.10.2011, 17:53
Einfahrt zur Sachsen-Anhalt-Kaserne in Weißenfels. Ihre Zukunft ist ungewiss. (FOTO: ANDREAS STEDTLER)
Einfahrt zur Sachsen-Anhalt-Kaserne in Weißenfels. Ihre Zukunft ist ungewiss. (FOTO: ANDREAS STEDTLER) NGEN

weissenfels/MZ. - Der Duft von würzigem Fleisch zieht in die Nase. Große Tafeln verkünden das Angebot: Döner, Nudeln, Pizza in zahllosen Variationen. "Und Salat dreimal täglich frisch", sagt Ümmet Yasar mit Stolz in der Stimme. Der 37-Jährige hat sich etwas aufgebaut. Der Mann, der aus der Türkei stammt, betreibt zwei gut gehende Dönerläden in Weißenfels. Gut möglich, dass er einen davon bald schließen muss.

In der kommenden Woche will Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) verkünden, welche Bundeswehrstandorte im Zuge der Armeereform geschlossen werden. Schon vor Tagen ist durchgesickert, dass die Weißenfelser Sachsen-Anhalt-Kaserne - 1 400 Soldaten, 200 Zivilangestellte - wohl dabei ist. Oder zumindest deutlich verkleinert wird.



"Das würde mich hart treffen", sagt Yasar. Seine erst vor drei Jahren eröffnete zweite Filiale liegt 400 Meter Fußweg von der Kaserne entfernt "Mindestens 40 Prozent" seines Umsatzes dort macht er mit Bundeswehrangehörigen. Er deutet auf klobige Holzbänke und -tische neben dem weißen Verkaufscontainer. "Im Sommer ist hier alles voll." Ohne Bundeswehr, fürchtet der Gastronom, "kann ich hier zumachen. Ich könnte die Miete nicht mehr bezahlen." Drei seiner Angestellten müssten dann wohl gehen.

So wie Yasar geht es vielen in Weißenfels. Die Stadt lebt von der Bundeswehr, die das ist, was Politiker einen Wirtschaftsfaktor nennen. Soldaten lassen Geld in den örtlichen Geschäften. Firmen erhalten Aufträge. "Von solchen Arbeitgebern", sagt Detlef Polzin, Betriebsberater bei der Handwerkskammer, "ist die Region extrem abhängig." Nach Angaben der Stadt hat die Bundeswehr in diesem Jahr bereits Aufträge für 1,6 Millionen Euro ausgelöst - meist für Bau- oder Instandsetzungsarbeiten.

Die Zeiten, als die Kaserne umfangreich saniert wurde, sind zwar vorbei. Doch noch macht eine Handvoll örtlicher Firmen Geschäfte mit der Armee. So das Autohaus Kittel. Der Weißenfelser VW- und Audi-Händler hat einen Wartungsvertrag für Bundeswehr-Dienstfahrzeuge. Das sind zwar nicht mehr viele, ein knappes Dutzend, seit die Armee ihren Fuhrpark im wesentlichen ausgegliedert hat. "An Umsatz macht das vielleicht noch 5 000 Euro im ganzen Jahr", sagt Kittel-Serviceleiter Manfred Gentzsch. Was schwerer wiegt: Der Bund war stets eine sichere Bank. "Das Geld kam immer verlässlich." Kein Wunder, dass Detlef Polzin von der Handwerkskammer an die Politik appelliert, alles zu tun, um die Bundeswehr zu halten.

Die Politik, in Weißenfels ist das auch Robby Risch, 49 Jahre, parteilos, Oberbürgermeister. Risch sitzt am runden Besprechungstisch in seinem Dienstzimmer und hält sich an einem Glas Tee fest. Er doziert, was für einen "hervorragenden Standort" die Bundeswehr in seiner Stadt habe, die Autobahnen in der Nähe, der Flughafen, die Kaserne sei "effizient, innovativ", mit Photovoltaik und Geothermie. Er wirkt wie jemand, der nicht glauben will, dass sich der Bund am Ende vielleicht doch gegen Weißenfels entscheiden könnte. "Über das Worst-Case-Szenario nachzudenken", sagt er, "das haben wir uns hausintern verboten. Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben."

Dabei macht der Oberbürgermeister sich keine Illusionen. Die Einflussmöglichkeiten der Kommunalpolitik? "Relativ begrenzt." Im April haben sie im Stadtrat eine Petition an den Verteidigungsminister verabschiedet. Sie haben hingewiesen auf die "jahrhundertelange Militärtradition" ihrer Stadt, auf die "hohe gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr". De Maizière dürfte solche Briefe im Dutzend erhalten haben.

Risch weiß nicht, was kommt, wenn die Armee geht. Aber er weiß, was fehlen würde. Er zählt auf: Die meisten der 200 Zivilangestellten wohnen in Weißenfels, die übrigen, auch viele Soldaten, pendeln aus einem Umkreis bis 30 Kilometer. "Wenn man davon ausgeht, dass jede dieser Familien im Monat nur 1 000 Euro in der Region lässt, kann man sich leicht ausrechnen, was an Kaufkraft verloren gehen würde."

Viele Soldaten lassen Geld in der "Niedrigpreis"-Kaufhalle im Wohngebiet gleich gegenüber der Kaserne. Rhythmisches Piepen ertönt, wenn Petra Guth Chips, Brötchen und Saft über den Scanner zieht. Wochenanfang und Wochenschluss, sagt die Mitarbeitern, "das sind die Hochzeiten für die Bundeswehr". Knabberzeug, Getränke - viele Soldaten decken sich ein für die Dienstwoche und für die Heimfahrt. Rund ein Drittel der Kunden, grob geschätzt, arbeitet bei der Bundeswehr.

Christian Heiland hat die Folgen der Bundeswehrreform bereits vor Monaten zu spüren bekommen, als die Wehrpflicht gestrichen wurde. Heiland ist Inhaber eines Bowling-Centers unweit der Kaserne. Ein, zwei Bahnen sind besetzt. Nachmittagsgeschäft. Bowling - für Soldaten ein willkommenes Freizeitvergnügen? Heiland winkt müde ab. Schon lange nicht mehr. Vor Jahren, als in Weißenfels noch Panzergrenadiere Dienst schoben, "war hier jeden Abend Party", sagt ein Mitarbeiter. Bis zum Sommer hat das Bowling-Center mit der Armee immerhin noch zehn Prozent seines Umsatzes gemacht. Dann blieben die Wehrdienstleistenden aus. "Jetzt sind es vielleicht fünf Prozent", sagt Heiland.

Es ist ein schleichender Niedergang, auch das Taxi-Gewerbe merkt ihn. Freitagmittag von der Kaserne zum Bahnhof, Sonntagabend zurück - als es die Wehrpflicht noch gab, seien Taxen stark gefragt gewesen, sagt Fahrer André Dallmann. "Das war ein kleiner Lichtblick." Oft ist er die Strecke damals fünf, sechs Mal hintereinander gefahren. "Jetzt sind es vielleicht zwei Fahrten." Das Funkgerät quäkt. Er muss los. Vielleicht ruft am Freitag wieder jemand an aus der Kaserne. Wer weiß, wie lange noch.