Prozess um illegalen Müll Prozess um illegalen Müll: Erhielt dubioser Makler Schmiergelder?

Naundorf/Halle (Saale) - Ein dubioser Müllmakler, der lange Zeit auf großem Fuß gelebt hat und Schmiergeld kassiert haben soll. Große Mengen Abfälle, die auf Umwegen aus Süditalien nach Sachsen-Anhalt gekommen sind. Und eine Ministerin aus Sachsen, die sich nicht mehr an ein vermeintliches Gespräch mit dem Angeklagten erinnern kann: All das sind die Bestandteile eines Prozesses, der bereits seit Mai 2015 vor dem Landgericht Halle läuft - und dessen Ende nicht absehbar ist.
Zugegeben hat der Angeklagte Konrad D. bisher nur, 500.000 Euro Steuern hinterzogen zu haben. Mit eigenen Firmen hatte er - neben seiner Tätigkeit bei der Westsächsischen Entsorgungs- und Versorgungsgesellschaft (WEV) in Cröbern - offenbar so viel Geld im lukrativen Müllgeschäft verdient, dass er den Bezug zur Realität verlor, wie er selbst sagt. Schnelle Autos, eine teure Geliebte und reichlich Geld - er wollte halt das Leben genießen. „Ich bin einfach abgehoben“, sagte der Angeklagte bereits am ersten Prozesstag.
Rücklagen für die Steuer hatte er indes nie gebildet. Stattdessen gönnte er sich einen Ferrari und sponserte ein Basketball-Team in Sachsen. 50.000 Euro, so schätzt er selbst, habe er allein für seine junge Geliebte ausgegeben. Die Frau arbeitete offiziell als Dolmetscherin für ihn, ohne jedoch jemals belegbare Leistungen erbracht zu haben. Ihre Hotelrechnungen setzte er zudem als betriebliche Ausgaben von der Steuer ab. Doch während sich die Steuerhinterziehung nach dem Geständnis möglicherweise einfach aufarbeiten lässt, sieht das beim Vorwurf des illegalen Mülltransportes anders aus. Der Angeklagte streitet die Hauptvorwürfe bis heute vehement ab.
Handel mit gutem Bekannten
Die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass der Angeklagte zwischen 2007 und 2009 illegal Müll von Sachsen nach Sachsen-Anhalt geliefert hat. Als ehemaliger Vertriebsleiter der WEV in Cröbern soll der 64-Jährige bis zu 100.000 Tonnen Siedlungsabfälle ohne eine Genehmigung der Behörden weitergeleitet haben - zur Sortierungs- und Vermarktungsgesellschaft (SVG) in Naundorf (Burgenlandkreis). Die Anklage ist davon überzeugt, dass der Angeklagte für die Vermittlung des lukrativen Entsorgungsgeschäftes 100.000 Euro Bestechungsgeld vom Betreiber der Naundorfer Anlage erhalten hat. Der soll ein guter Bekannter des Angeklagten gewesen sein, ist inzwischen aber verstorben.
Als der Transport der Abfälle aus Italien aufflog, war vom möglicherweise größten Müllskandal in der Geschichte Sachsen-Anhalts die Rede. Besonders pikant: Die Abfälle stammten ursprünglich ausgerechnet aus dem Raum Neapel. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dort die Mafia den Müllmarkt kontrolliert und 2008 einen Müllnotstand provozierte. Wochenlang lag der Abfall auf den Straßen herum. Die WEV aus Cröbern stand seinerzeit kurz vor dem Bankrott und nahm jeden Auftrag an, den sie kriegen konnte. Dass es sich in diesem Fall um Mafia-Müll gehandelt haben könnte, interessierte offenbar niemanden. Zum Problem wurde aber, dass die Italiener zu viel Abfall auf einmal lieferten, dass die Kapazitäten in Cröbern nicht mehr reichten. Der Angeklagte soll sich daher bei der WEV dafür eingesetzt haben, dass der Abfall nach Naundorf weiter geleitet wird.
Behörden absichtlich umgangen?
Juristisch wird die Mülllieferung als unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen verfolgt. Zwar sind die Abfälle aus Italien nicht besonders giftig. Für den Weitertransport bis nach Sachsen-Anhalt fehlten aber laut Anklage die Genehmigungen. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass die Behörden absichtlich umgangen werden sollten. So sollte demnach verschleiert werden, dass die Anlage in Naundorf gar nicht für die Verarbeitung der Abfälle mit einem so hohen Feuchtanteil geeignet war. Es hätte deshalb eine Verschmutzung des Grundwassers gedroht.
Der Angeklagte streitet die Vorwürfe ab. „Ich war gar nicht für die Weiterleitung des Müll zuständig, sondern nur für die Akquise“, betont er immer wieder. Zudem gelte bei der WEV das Vier-Augen-Prinzip. Daher hätte er alleine überhaupt keine Entscheidungen treffen können. Und die 100.000 Euro will er vom Naundorfer Entsorger für die Vermittlung von Holzlieferungen bekommen haben - nicht für die Lieferung des Mülls aus Italien. Auch für die Gerüchte über seine angebliche Bestechlichkeit hat der Angeklagte eine Erklärung. Die habe ein Geschäftsführer der WEV verbreitet, der ihn nicht leiden konnte. Zeugen hatten ausgesagt, dass sich einige Mitarbeiter geärgert hätten, dass der Angeklagte immer im Ferrari zur Müllentsorgungsanlage gefahren sei.
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Prominenteste Zeugin vor Gericht war bisher Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD). Sie war seinerzeit als Landrätin des Leipziger Landes zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzende der WEV. Der Angeklagte sagte, er habe sich damals wegen der über ihn verbreiteten Gerüchte an Petra Köpping gewandt. Die Ministerin konnte sich vor Gericht aber nicht nicht an ein solches Gespräch erinnern.
Doch auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung liegen mit ihren Einschätzungen deutlich auseinander. Umstritten ist beispielsweise, ob damals eine schriftliche Genehmigung der Behörden für den Mülltransport nach Sachsen-Anhalt überhaupt nötig war oder ob eine mündliche Anzeige bei der Verwaltung ausgereicht hätte. Aus Sicht der Verteidigung war die Anlage in Naundorf zudem sehr wohl in der Lage, Siedlungsabfälle ordnungsgemäß zu behandeln. Doch zuletzt schien nicht einmal mehr klar zu sein, welche Sorte Abfall überhaupt geliefert wurde.
Keiner Schuld bewusst
Hoffnung auf eine Lösung kam dann im Juli in einem Rechtsgespräch auf. Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten sich bereits auf einen Kompromiss geeinigt. So hatte der Staatsanwalt angeboten, die Anklage wegen des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen fallen zu lassen. Im Gegenzug sollte der 64 Jahre alte Angeklagte aber die Annahme des Schmiergeldes einräumen. Bei einem Geständnis hätte eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung im Raum gestanden. Doch aus der Einigung wurde nichts. Mitten im Rechtsgespräch stürmte Konrad D. wütend aus dem Zimmer. Er sei sich keiner Schuld bewusst.
Den Antrag der Verteidigung auf ein erneutes Rechtsgespräch, der Anfang dieser Woche gestellt wurde, lehnte das Gericht ab. Die Anwälte des 64-Jährigen hatten ihren Antrag mit „weiteren Erkenntnissen“ begründet, die „einen neuen Anlauf rechtfertigen“. So geht die Verteidigung nun davon aus, dass die Transporte des Mülls aus Italien im fraglichen Zeitraum von 2007 bis 2009 noch gar nicht strafbar waren. Erst 2012 habe es eine Verschärfung der Regeln gegeben. „Das war bisher auch noch nicht aufgefallen“, räumte der Verteidiger ein. Das Gericht willigte ein, einen Experten für Abfallrecht anzuhören, der über die Auswirkungen der Gesetzesänderung Auskunft geben soll.
Vor einem Scherbenhaufen
Und so muss das Landgericht in Halle Mitte November weiter verhandeln. Bislang tritt der Prozess auch nach mehr als 20 Verhandlungstagen auf der Stelle. Auch die zahlreichen Zeugen konnten bisher kein Licht ins Dunkel bringen. Klar ist nur, dass Konrad D., der damals bei der WEV gekündigt hatte und sich auf seine eigenen Geschäfte konzentrieren wollte, bis zu 15 Jahre Gefängnis drohen, sollte er in allen Anklagepunkten verurteilt werden. Mit dem Beginn der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hätten jedoch alle seine Geschäftspartner den Kontakt abgebrochen, sagt er. Seitdem lebt er von Hartz-IV. Seinen Ferrari musste er längst verkaufen. (mz)